Jan Gloßmann

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,liebe Cottbuserinnen und Cottbuser,

seit heute ist das Wendische Museum in der Mühlenstraße wieder für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Das ist ein freudiger Tag, auch wenn uns Corona gestern die feierliche Eröffnung ebenso vermiest hat, wie das Virus große Teile des gesellschaftlichen Lebens, der Kultur, der Abwechslung vom Arbeitsalltag und der Entspannung beeinträchtigt oder lahm gelegt hat.

Lassen Sie uns ein Stück Gewissheit mitnehmen, dass es auch neben und nach Corona noch etwas gibt und geben wird, dass wir erleben können und worüber wir uns freuen. Gut eine Million Euro sind in die Sanierung des traditionsreichen Hauses in der Mühlenstraße geflossen, ebenso in eine völlig neu konzipierte Ausstellung über das Leben der Sorben/Wenden in unserer gemeinsamen Heimat.

Zunächst möchte ich allen Beteiligten danken, die einen herausragenden Beitrag zur Unterstützung und zur Förderung unseres Wendischen Museums geleistet haben. Die Übergabe des Hauses reiht sich ein in einen wichtigen Teil unserer Geschichte und der städtischen Identität. Erste Grundlagen wurden fast auf den Tag genau vor 140 Jahren geschaffen, als die „Kommission zur Unterstützung Theologie studierender Wenden“ der wissenschaftlichen Gesellschaft Maśica Serbska in Cottbus/Chóśebuz ihre Arbeit aufnahm. Impulse kamen seit 1884 auch durch die museale Sammlungstätigkeit der in Calau gegründeten Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde. Ein dritter Wurzelstrang unseres heutigen Wendischen Museums geht auf den damaligen Cottbuser Bürgermeister Dr. Adolf von Varnhagen zurück, der 1907 dem sorbischen/wendischen Pfarrer Gotthold Schwela die Gründung eines Wendischen Museums vorschlug. Nach immensen Kriegsverlusten – man sehe dazu in anderem Zusammenhang auch die aktuelle Ausstellung Branitz 1945 – gab es bereits 1952 die „Ausstellung zur Geschichte und Kultur der Sorben“ im Erdgeschoss des Schlosses Branitz. 1978 beschloss der Rat des Bezirkes Cottbus außerdem den Aufbau eines „Museums für niedersorbisches Schrifttum“. Damit wurden die Präsentation der meist bäuerlich geprägten Alltagskultur der Sorben/Wenden und die Vermittlung der geistigen Potenzen zunächst in Gestalt seiner Literatur zusammengeführt. 1986 erwarb die Stadt das Gebäude in der Mühlenstraße 12. Nach 1989 hat es einige Mühe gekostet, das Haus für das Museum zu bewahren. Aber das ist dank vieler engagierter Menschen gelungen, bis heute. Nun haben wir eines unserer Kleinode wieder in Besitz zu nehmen. Möge es viele Besucherinnen und Besucher finden.

Denn unser Wendisches Museum ist eben nicht nur der Präsentation von Vergangenem gewidmet, sondern dient der Festigung der sorbischen/wendischen Identität in unserer Region und ist außerdem auch ein aktueller Sprachraum für die sorbische/wendische Sprache, wie zum Beispiel die Veranstaltung „Serbske blido“ beweist. Es ist Teil unserer kontinuierlichen Bemühungen um die Wahrung und Entwicklung der sorbischen/wendischen Bevölkerung in unserer Stadt und der Lausitz.

Sehr geehrte Damen und Herren,

In wenigen Tagen sollten sich mit Doreen Goethe, Heidi Fischer, Jörg Ackermann und Eberhard Nahly vier Persönlichkeiten in die Ehrenchronik von Cottbus/Chóśebuz eintragen, die sich um das FilmFestival und die Vermittlung besonderer Film- und Kinokultur in unsere Stadt über viele Jahre verdient gemacht haben. Corona-bedingt musste die Eröffnungsveranstaltung des alljährlichen, diesmal 30. FilmFestivals abgesagt werden. Sie hätte den würdigen Rahmen für die Ehrung geben sollen. Wir werden die Eintragung daher, nicht minder würdig, in der Stadtverordnetenversammlung im November nachholen. Gleichzeitig möchte ich aber deutlich sagen: das FilmFestival in Cottbus/Chóśebuz lebt! Es wird gespielt, teils im Netz, teils in den Kinos, immer auf Abstand, aber mit großer Nähe zum Osten Europas und mit weitem Herzen für die Filmkunst.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Corona hat auf alles Auswirkungen. Cottbus/Chóśebuz ist in den zurückliegenden Wochen vom Musterknaben zum Hotspot geworden. Beides sind so typische Bezeichnungen, um die wir uns nicht gerissen haben. Sie spitzen zu, bilden aber die Realität nur ungenau ab. Wir waren kein Musterknabe, denn das Virus war immer auch in unserer Stadt. Und wir haben, trotz der Bezeichnung Risikogebiet, die Lage weitgehend im Griff. Was nicht einfach ist und nicht einfacher wird, das spüren die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt, im Ordnungsamt, im Carl-Thiem-Klinikum und auch die Beschäftigten in Pflegediensten und Heimen, in den Schulen, den Kitas und anderswo jeden Tag neu.

Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen der Verstorbenen, meine besten Wünsche für baldige Genesung begleiten die, die infiziert oder gar symptomatisch erkrankt sind. Es gibt keinen Grund, etwas zu verharmlosen. Das Virus ist gefährlich und ansteckend und nicht zu unterschätzen.

Dass das Puppenspielfest am Piccolo-Theater ebenso wenig stattfinden konnte wie die Eröffnungsveranstaltung des Filmfestivals ist überaus bedauerlich. Beide Absagen zeugen jedoch von einer verantwortungsbewussten Haltung der Veranstalter. Eine solche wünschte ich mir bei jeder und jedem Einzelnen in unserer Stadt. Dann wäre schon vieles gewonnen.

Denn in einem haben wir uns wohl geirrt: die Welle der Solidarität untereinander ist seit dem Frühjahr groß, sie ist aber vielleicht nicht groß genug. Sie hat ihr Gegenstück hervorgebracht: ein immenses Maß an Egoismus, an Rücksichtslosigkeit, an Ignoranz. Das beginnt schon damit, dass einfachste Regeln missachtet werden und das endet noch lange nicht da, wo Fakten schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen oder gar ignoriert werden. Dabei sollten es doch zunächst die Fakten sein, die den kleinsten gemeinsamen Nenner bilden. Interpretieren kann man dann immer noch, bewerten, für sich ausschlachten oder was auch immer. Das wird ja auch mit großer Lust an Debatten und Provokationen getan, wie es in einer freien Gesellschaft üblich ist. Diese Freiheit darf jedoch nicht auf Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen beruhen. Man kann es daher nicht oft genug betonen: Ich danke allen sehr, die in diesen schwierigen Zeiten kühlen Kopf bewahren, die die Situation nüchtern einschätzen und die Verantwortung übernehmen und zu tragen bereit sind. Das sind meist die Leute, die eben nicht lautsprecherisch durch soziale Medien oder über Plätze tingeln, sondern still, fleißig und akribisch die Lage analysieren und handeln. Und die vielleicht nicht alles richtig machen, die aber an andere denken, und die zu trennen wissen zwischen Zumutbarem und Zumutung.

Es gibt in diesem Land und so auch in unserer Stadt neuerdings eine große Zahl studierter Leute, und das sind diejenigen, die ganz offensichtlich aus verschiedensten Quellen Studien heranziehen und zitieren können, die wie selbstverständlich ihre eigene Ansicht belegen.

Gewiss ist der Föderalismus nicht an jeder Stelle hilfreich, nicht umsonst wird er oft auch Kleinstaaterei genannt. Seine Stärken verspielt er wieder, in dem sich Landesfürsten versuchen gegenseitig zu über- beziehungsweise zu unterbieten in Regelungen, die letztlich dann doch von Gerichten gekippt werden. Das schafft kein Vertrauen, das schafft auch keine Verlässlichkeit, das verunsichert die Leute, die Regeln einhalten sollen und wollen. Ein Gemeinwesen kann nur funktionieren, wenn es klare und verständliche Regeln gibt, die dann auch alle einhalten.

In diesem Zusammenhang sei mir gestattet, den Tarifkompromiss für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen zu begrüßen. Das ist eine tragfähige und maßvolle Lösung, die es uns gestattet, uns weiter mit ganzer Kraft den drängenden Problemen aus der Pandemie und ihren Folgen zu widmen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

es gibt ein Leben neben Corona, viele Prozesse und Projekte werden vorangetrieben und diskutiert. Dazu zählen die Pläne für die Brache in der Stadtpromenade. Wir alle sind uns einig, dass der Zustand dort nicht so bleiben kann wie er jetzt ist. Die neuen Pläne sind jedoch enttäuschend, widersprechen den Ankündigungen von Ende September und entsprechen nicht den Entwicklungszielen für diesen exklusiven Standort. Dennoch muss klar gesagt werden: Wir befinden uns in einem von Rechtsnormen geprägten Verfahren, in dem die Unterlagen des Investors entsprechend offen geprüft werden müssen und die fachlich zuständigen Behörden ihre Einschätzung vorlegen und einen Verfahrensvorschlag unterbreiten werden.

Wesentlich zielführender arbeitet unser Servicebereich Bildung und Integration. Dieser hat jetzt eine Wirkungsanalyse der Migrationssozialarbeit in unserer Stadt vorgelegt. In der zweiten Novemberhälfte werden Sie, sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete, diesen Bericht in ihren Fächern finden. Soviel kann ich schon sagen: Wir haben in den wenigen Jahren seit 2015 Strukturen geschaffen, die notwendig waren, um die Herausforderungen einer bis dahin noch nicht gekannten Zuwanderung in die Stadt Cottbus/Chóśebuz zu meistern. Der Erfolg dieser Arbeit ist aber nicht allein in den neuen und veränderten Strukturen zu sehen, er resultiert maßgeblich aus den in den zahlreichen Netzwerken wirkenden Menschen, die sich motivieren und begeistern ließen, die sich bei Trägern der sozialen Arbeit, in Verwaltungen, Firmen und Institutionen darauf eingelassen haben, mit Beharrlichkeit und Engagement den neuzugewanderten Menschen die Aufnahme in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. Vielfalt, Umfang und die Zielstellungen der mit der Migrationssozialarbeit verbundenen Projektansätze sind überraschend. Mit der Landesunterstützung ist es gelungen, neben den etablierten Arbeitsfeldern der sozialen Arbeit (bspw. Schulsozialarbeit) weitere 44 Stellen zu schaffen und mit Fachleuten zu besetzen. Die Ergebnisse werden nun dokumentiert und sichtbar. Damit kann nun besser als bisher auf die Fragen nach Notwendigkeit und Inhalt der mit einem hohen personellen und finanziellen Aufwand verbundenen Projekte geantwortet werden. Ich bin dankbar vor allem all jenen, die unbeirrt, engagiert und fachlich souverän den Integrationsprozess für zugewanderte Menschen geführt und gestaltet haben. Damit hat sich Cottbus auch überregional einen Namen gemacht. Diese Arbeit kommt letztlich allen Cottbuserinnen und Cottbusern zugute.

Es gibt aber eine wesentliche Schlussfolgerung, die wir mit dem Land diskutieren müssen. Migrationssozialarbeit muss Pflichtaufgabe werden, weil es längst eine Pflicht ist, Menschen bestmöglich zu integrieren, um unsere Gesellschaft voranzubringen, auch und gerade hier in Cottbus/Chóśebuz. Natürlich geht es hier um Geld, um die notwendigen finanziellen Ressourcen, die gesichert werden müssen, damit wir nicht alle Jahre wieder zum Bittsteller für eine zukunftsträchtige Aufgaben werden müssen. Diese Pflicht zur Integration beinhaltet genau so, einigen Menschen Grenzen aufzuzeigen durch Rechtsprechung und durch Abschiebung, wenn Integrationsangebote nicht angenommen und Regularien oder gar Menschen verletzt und entwürdigt werden. Grenzen aufzeigen durch Rechtsprechung gilt im Übrigen nicht nur für Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen.

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist am 08. Oktober ein großer Beitrag erschienen, bezeichnenderweise unter dem Kolumnentitel „Recht und Unrecht“. Überschrift: des Beitrages: „Der Clan von Cottbus“.

Ich kann nur davon abraten, jetzt in irgendeiner Form gegen Journalisten, die ihren Job gemacht haben, oder einen ihrer Beiträge vorgehen zu wollen, der keinen erkennbaren Fehler enthält. Was uns sicher nicht gefällt ist die zugespitzte Interpretation der Situation in diesem Beitrag. Dieser Clan, so heißt es, würde die Macht in Cottbus übernehmen. Die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler und die Situation kennen wir, die Fakten waren weitgehend bekannt. Vielmehr scheint es mir so zu sein, dass unsere Stadt einmal mehr den Buckel hinhalten muss für Defizite, die die Landespolitik bei der Ausstattung von Ermittlungsbehörden, der Polizei und der Justiz zugelassen hat. Wenn dort das Gefühl der Ohnmacht herrscht, so müssen wir das zur Kenntnis nehmen, und es muss auch artikuliert werden. Wenn aber ein Clan die Macht in Cottbus hätte, dann säßen wir jetzt nicht hier und würden über Straßenreinigungsgebühren, Ausschussbesetzungen oder Vorkaufsrechte für die Strukturentwicklung entscheiden.

In den Aussagen einiger der Zitierten in dem Beitrag sehe ich einen Hilferuf nach besserer Ausstattung und mehr Personal, um der nicht zu leugnenden Probleme und krimineller Aktivitäten tatsächlich Herr zu werden.

Es ist schon fast ein Déjà vu, dass wir zu diesen Themen erneut von uns aus Kontakt zum Verfassungsschutz des Landes suchen müssen, und wir einen Termin für ein gemeinsames Gespräch vereinbart haben. Denn wieder ist vom toxischen Gebilde die Rede, und es wird vieles in der Öffentlichkeit erörtert, aber nicht mit uns als Stadtverwaltung. Ich hatte gehofft, dass wir da schon weiter sind.

Es gibt aber Dinge, zu denen die Gesellschaft Position beziehen muss, und das immer wieder. Das Hohe Haus, Sie als Stadtverordnete, sind beispielsweise im Rahmen Ihrer Regularien und Selbstorganisation gefordert, wenn eines der Mitglieder in einer Ausschusssitzung mit genau jenem Label und T-Shirt-Aufdruck posiert und provoziert, dessen Verkauf einen Teil der wirtschaftlichen Basis für diesen Clan bildet.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich hoffe natürlich, unsere klare Haltung gegen alte und neue Nazis und deren Umtriebe wird wahrgenommen, wenn wir am 09.11. der Opfer der Pogromnacht von 1938 ebenso gedenken wie alle der Toten, Verletzten und Vertriebenen, die der Naziterror in Deutschland und der Welt und gezielt unter der jüdischen Bevölkerung gefordert hat. Dieses Gedenken kann in diesem Jahr nicht so ausfallen wie wir es gewohnt sind. Rathausspitze, die Fraktionsvorsitzenden und Vertreter der Jüdischen Gemeinde werden am Gedenkstein für die niedergebrannte Synagoge in aller Stille Blumengebinde niederlegen. In diesem Jahr geht es dort zuvorderst um die Geste des Gedenkens, weniger um Reden. Wir bereiten aber für das Internet ein Video vor, in dem unsere Haltung für eine offene Gesellschaft ohne Hass, Gewalt, Entwürdigung und Ausgrenzung nochmals deutlich werden wird.

Zugleich haben wir mit der Jüdischen Gemeinde die Vereinbarung über gegenseitige Kooperation, Unterstützung und Austausch bis 2025 verlängert.

In diesem Zusammenhang freue ich mich über eine wichtige Aktion des Cottbuser Aufbruchs: Dieser hat dazu aufgerufen, anlässlich des Pogromgedenkens die in Cottbus/Chóśebuz verlegten 90 Stolpersteine zu putzen und sie so nachdrücklich ins Gedächtnis zu rufen: Das Grauen von Verfolgung, Verschleppung und Tod hat auch hier in unserer Stadt stattgefunden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der 09. November ist seit 1989 aber auch ein wichtiger, prägender Tag unserer eigenen Biografie. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde ein Leben in Freiheit und Selbstverantwortung möglich – und er ebnete letztlich den Weg zur Deutschen Einheit im Oktober vor 30 Jahren. Eine Erinnerung daran sollte gerade in diesen Tagen geboten sein, wo die Einschränkung von Rechten unumgänglich ist. Wir sollten uns glücklich schätzen, in einem Land zu leben, das diese Rechte nach einer Pandemiesituation wieder vollumfänglich garantieren wird und in dem unabhängige Gerichte darüber wachen, dass die Einschnitte verhältnismäßig bleiben.

Ich danke Christoph Polster für seine nahegehende und nachdenklich stimmende Festrede anlässlich 30 Jahre Deutsche Einheit und möchte seinen dringlichen Apell zitieren: „„Die Freiheit ist schwieriger als der Traum von derselben.“ Mit diesen Worten warb er um mutiges Eintreten für Demokratie und Dialog, gegen Extremismus, Hass und Antisemitismus anlässlich „30 Jahre Deutsche Einheit“. Weiter sagte er: „Wir brauchen ein Gespür dafür, wie kostbar ein Leben in Freiheit ist. Jeder ist gefordert, sich gegen die Ideologie neuer Nazis zu stellen. Und wir dürfen die Menschen angesichts der Umbrüche in ihren Ängsten nicht allein lassen, dann haben Populisten keine Chance.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, sondern diese Botschaft ist zu beherzigen.

(Es gilt das gesprochene Wort.)