Stadt Cottbus/Chóśebuz

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete, liebe Cottbuserinnen und Cottbuser,

die bisherigen Beiträge dieser Sondersitzung der Stadtverordneten lassen sich kurz zusammenfassen: Corona ist, was vor einem Jahr noch kaum jemand für möglich gehalten hat, Alltag geworden. Wir haben das Virus nicht besiegt, aber wir sind ihm auch nicht unterlegen. Das Virus und wir Menschen ringen miteinander und müssen weiter achtsam sein. Und das wohl noch lange Zeit. In den zurückliegenden Wochen ist nahezu täglich neue Frustration entstanden, weil wir fühlen, dass wir nicht weiterkommen. Und wer sagt uns, ob der gegenwärtige Zustand nicht vielleicht doch die neue Normalität ist, zumindest so lange, wie wir mit dem Impfen nicht deutlich schneller vorankommen.

Wir haben uns am Sonntag am Gedenken für die Toten des Corona-Jahres beteiligt. Den Angehörigen gehört unser Mitgefühl. Wir kennen die enorme Belastung von Ärztinnen und Ärzten, von den Pflegekräften im Carl-Thiem-Klinikum. Götz Brodermann hat gerade darüber gesprochen. Wir wissen um die Situation in den Altenheimen, wir kennen die Ängste von Erzieherinnen oder Kassiererinnen vor Ansteckungen im systemrelevanten Job und anderen mehr. Wir lesen aber auch das in einem Schreiben eines Vaters, dessen Tochter in der Stadt ein Geschäft betreibt: „Ich habe sie zutiefst traurig, wütend und fassungslos angetroffen. Die Winterware hängt auf den Bügeln, die Sommerware trifft regelmäßig von den Firmen ein, die Rechnungen, die Steuern und die Miete sind zu bezahlen und es können keine Einnahmen generiert werden, ein hoffnungsloser Zustand. Die jetzige Situation ist für sie und viele Händler aussichtslos und ohne absehbare Zeiträume der Veränderung.“ Und auch das, aus einer Mitteilung der IHK: Jedes dritte Unternehmen berichtet von sinkenden Auftragseingängen, bei vielen schrumpfen die Umsätze – und letztlich auch die Zuversicht.

Dem können wir nicht tatenlos zusehen.

Wir müssen konstatieren, dass der Wechsel von Lockdown zu Lockerungen und wieder zurück bislang nicht die Ergebnisse gebracht hat, die wir uns alle gewünscht haben. Niemand kann uns sagen, ob wir durch einen harten Lockdown tatsächlich die Inzidenz deutlich unter 100 oder gar 50 senken können. Klar scheint, dass bei Öffnungen die Inzidenz wieder nach oben geht.

Wir brauchen offensichtlich einen Paradigmenwechsel: Corona ist nicht vorbei, doch ein ewiger Lockdown wird nicht funktionieren, gesundheitlich nicht, wirtschaftlich nicht, sozial nicht, finanziell nicht, kulturell nicht, gesellschaftlich nicht. Die Menschen brauchen Perspektiven und brauchen Hoffnung.

Wir wollen zurückfinden in ein halbwegs normales, ein alltägliches Leben. In ein Leben, in dem Corona zwar vorhanden ist, aber kontrolliert werden kann. Weder das Gesundheits- noch das Pflegesystem sollen dabei überlastet werden. Und dennoch müssen Wirtschaft, Handel, Handwerk, Gastronomie, Hotellerie, Kultur, Sport und die vielen Vereine wieder zurück zu alter Stärke finden können. Wir wollen wieder einkaufen gehen oder uns zum Essen und auf ein Glas Wein treffen, natürlich bei denen, die hier vor Ort Steuern zahlen und damit etwas zum Gemeinwohl beitragen. Und das alles ohne schlechtes Gewissen, ohne dieses nagende Gefühl irgendetwas falsch zu machen, gegen Regeln zu verstoßen oder andere zu gefährden.

Daher arbeiten wir weiter an dem Konzept der Öffnung, an Perspektiven, auch wenn das manchem anhand der aktuellen Inzidenzzahlen und der Entwicklung unrealistisch oder gar gefährlich erscheint. Deshalb haben wir uns als Modellkommune beworben und das dem Land Brandenburg auch entsprechend angezeigt. Natürlich gibt es noch kein fertiges Konzept dafür. Das ist auch der Stand, über den ich in meinem Redemanuskript zur März-Stadtverordnetenversammlung berichtet habe – es ist am 25.03. auf www.cottbus.de veröffentlicht worden – und den wir an jenem Donnerstag auch vor den Medien erklärt haben. Und um auch das nochmals klarzustellen: Wir sind noch keine Modellkommune; in Brandenburg gibt es so etwas noch nicht. Das Land hat bislang auf unseren Antrag nicht reagiert. Aber wir haben unseren Hut in den Ring geworfen.

Vorausgegangen war die Vereinbarung zwischen Kanzlerin und den Länderchefs am 22.03., die ausdrücklich Modellkommunen ermöglichte. An einem solchen Modell-Konzept arbeiten wir. Wir wissen, dass sich jeder etwas anderes unter einer Modellkommune vorstellt. Die Erwartungen und Hoffnungen sind genau so deutlich wie die Warnungen und Ängste vor Überforderung. Als eine Grundlage haben wir ja bereits unseren Perspektivplan. Aber auch das haben wir immer gesagt: Wir brauchen dazu den Spielraum für Entscheidungen, den nur das Land bestimmen kann. Und es ist ein lebendiger Plan, der stets weiterentwickelt wird. Die Lage ändert sich ständig, es gibt neue Informationen, Erkenntnisse und Studien. Es gibt keine Gewissheiten mehr. Es gibt keine abschließenden, eindeutigen, unumstößlichen Antworten und Wahrheiten.

Wir müssen davon ausgehen, dass wir noch längere Zeit keine weitgehende Sicherheit durch ein umfassendes Impfangebot haben. Das heißt, dass wir vor allem über ein umfangreiches Testangebot sicherstellen müssen, dass ausschließlich negativ getestete Personen Einkauf, Museum, Dienstleistungen etc. in Anspruch nehmen können. Der Negativtest ist Teil der Eintrittskarte zum öffentlichen Leben, sei es in Kita und Schule, sei es im Stadion, dem Unternehmen oder beim Sportverein. Dazu zählt also eine präzise und gut untersetzte Teststrategie, dazu zählt eine striktes Monitoring der Werte wie Auslastung und Belastung des Gesundheitswesens und anderes.

Ich bin allen dankbar, die einen solchen Öffnungsweg mit vorbereiten. Wir haben mit den täglichen Auswirkungen zu kämpfen, und wir haben die langfristigen Folgen im Blick zu behalten, die es unweigerlich geben wird. Wir wollen da schrittweise öffnen, wo sich das Virus nicht verbreitet, und wir wollen da filtern, wo es rechtzeitig erkannt wird, um Infektionsketten zu unterbrechen. Wir wollen also zunächst modellhaft konkrete Perspektiven schaffen für den

  • Handel
  • die Außengastronomie
  • kulturelle Veranstaltungen
  • den Sport vornehmlich im Freien, aber mit Zuschauern

Wichtige Voraussetzungen sind aus unserer Sicht:

  • das Impfangebot muss deutlich ausgeweitet und flexibler werden, es muss schneller geimpft werden
  • das Testmanagement wird erweitert und sollte sowohl Zentren als auch dezentrale Angebote umfassen, das Portfolio ist bereits deutlich erweitert
  • Veranstalter und Geschäftsinhaber haben schlüssige Hygienekonzepte
  • die gängigen Abstands- und Hygieneregeln bleiben bestehen und sind eine wichtige, von jedem und jeder selbst zu steuernde Grundlage für Öffnungen, denn Träger des Virus ist der Mensch, das bin ich und das sind Sie
  • ein gutes Datenmanagement beispielsweise zur Be- und Auslastung des Gesundheitssystems, dazu ein besseres, tiefgreifendes Controlling der vorliegenden Daten, um Hotspots zu erkennen und zu bewerten aber auch durch wissenschaftliche Hilfe mit auszuwerten
  • Differenzierung von Angeboten nach potenzieller Ansteckungsgefahr im Außenbereich und in Innenräumen
  • Nutzen der Luca-App oder vergleichbarer Angebote sowie der Software Sormas, auch das lebt vom Mitmachen der Anbieter und Nutzer
  • klare Abbruchkriterien

Zu allem gehört eine umfassende Information und Kommunikation. Daran arbeiten wir. Wir haben noch keinen festen Starttermin, da wir dafür grünes Licht vom Land Brandenburg brauchen. Aus unserer Sicht bleibt die Arbeit in Richtung Modellversuch auch dann sinnvoll, wenn es dieses grüne Licht kurzfristig nicht geben sollte. Denn vorbereitet sein müssen wir ohnehin auf behutsame Öffnungen.

Bürgerinnen und Bürger verlieren mehr und mehr das Vertrauen in diese Corona-Politik und in die Handlungsfähigkeit des Staates. Dieses Vertrauen wollen und müssen wir zurückgewinnen. Das funktioniert nur über klare Absprachen und vor allen Dingen den Umstand, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen entgegenbringen. Die übergroße Mehrheit hält sich ja auch jetzt an die Regeln, nimmt aber wahr, dass wir nicht wirklich vorankommen im Kampf gegen die Pandemie. Wir denken daher, dass statt Durchhalteparolen Angebote besser sind – Angebote, wie es funktionieren kann, begleitet von entsprechenden Maßnahmen. Wir wollen weniger vorschreiben, lieber mehr motivieren und vertretbare Anreize schaffen. Die Leute müssen mitziehen wollen und können. Denn nur gemeinsam werden wir das Virus in Schach halten können und zu einem Leben zurückkehren, das nicht von täglicher Covid-Angst bestimmt wird.