Thema: „Kohleausstiegs-und Strukturstärkungsgesetz beschlossen, wie geht es nun mit der Umsetzung der Strukturstärkungsmaßnahmen in der Stadt Cottbus weiter?“

Jan Gloßmann

Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Damen und Herren,

wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Nun war die Reiserei in diesem Jahr durch die Corona-Auswirkungen eingeschränkt, aber nicht so sehr, dass man nicht doch den Osten Deutschlands erkunden konnte. Mich hat es unter anderem wiederholt nach Weimar und erstmalig in einige thüringische und anhaltinische Landstriche verschlagen. Für viele Reisende war es sicher überraschend, auf diese Art die Heimat wieder zu entdecken. Gerade vor dem Hintergrund des Strukturwandels, der ja Thema dieser Aktuellen Stunde ist, möchte ich Ihnen eingangs sagen: Uns geht es in Cottbus/Chóśebuz und in Teilen der Lausitz angesichts der Aussichten hier vergleichsweise gut. Aber lassen Sie mich auf Weimar zurückkommen. Natürlich, Weimar, die Hauptstadt der Klassiker, die Stätte des Diskurses zwischen den Erfahrungen eines aufgeklärten Adels und den schon spürbaren gesellschaftlichen Veränderungen hervorgerufen durch die Französische Revolution, bis hin zur Geburtsstätte des ersten demokratischen Gemeinwesens des Deutschen Reichs im Jahr 1919, all das symbolisiert diese thüringische Mittelstadt. Aber Weimar ist noch mehr als nur Namensgeber der ersten Republik in unserem Land. Nicht Dessau, nicht Krefeld, nicht Stuttgart oder gar Berlin ist die Wiege einer der bedeutendsten Design- und Kunstschulen des 20. Jahrhundert. Es ist eine junge Hochschule in Weimar, die in einer frühen Phase vor über 100 Jahren eine neue Form zu Fragen der Lebensgestaltung des Heute und des Morgen entwickelt hat. Und diese neue Form hat einen ganz schlichten Namen: BAUHAUS. Und ich bin überzeugt, dass nicht wenige unter uns einige Protagonisten dieser Schule auch kennen: Walter Gropius, Henry van de Velde, Marianne Brandt, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Hannes Meyer…

Nun werden sicher einige von Ihnen fragen, was das mit dem heutigen Thema der Aktuellen Stunde zu tun hat. Und wie vieles im Leben ist das natürlich eine Betrachtung aus nur einer Perspektive. Deswegen lassen Sie mich noch ein wenig ausholen. Das BAUHAUS ist bei weitem nicht nur ein Baustil, wie z.B. unserer wunderbare Ströbitzer Integrationsschule in der August-Bebel-Straße, nein, BAUHAUS stellt den Menschen – mit all seinem Denken, Sehen, Fühlen – in den Mittelpunkt und „umbaut“ damit die Sphäre des Menschen in allen Auswirkungen für Zeit, Raum, Ästhetik und Wohlbefinden, unabhängig davon ob Frau, Mann oder Kind, jung oder erfahren betroffen sind. Und wahrhaft Neues hat sich aus diesem Anspruch und diesem Verständnis heraus entwickelt. Ob es um intelligente Formen der effizienten Raumnutzung oder um ganz praktische Handhabungen von notwendigen Dingen des Alltags geht, die bis in das JETZT reichen.

„Das Heute verdrängt das Gestern“

Und damit befinden wir uns nunmehr im Heute, in dem es uns vergleichsweise gut geht, und doch ist nichts so gut, dass es nicht noch besser ginge, um unsere Zukunft hier in Cottbus/Chóśebuz und der Lausitz zu sichern. Oder, um es mit einem der Bauhaus-Architekten, nämlich Hannes Meyer zu sagen: „Das Heute verdrängt das Gestern“. Ich würde ihn mit Blick auf den Wandel unserer Region sogar ergänzen: Das Morgen verdrängt dann das Heute. Das sollte, nein, muss (!) uns bewusst sein.

Was heißt das für uns? Vor allem eines: Wir müssen bereit sein zu Veränderungen, wir dürfen diese nicht als Teufelswerk oder gar Quell der Angst betrachten. Veränderung kennen wir seit Jahren und mancher ist ihrer wohl müde. Doch wir haben nur die Wahl, Veränderungen entweder über uns ergehen zu lassen und mit den Auswirkungen zu leben oder aber sie selbst zu gestalten.

„Überall ausbrechender Erneuerungswille“

Ich bin für das Gestalten angetreten und ich würde mich freuen, wenn wir in diesem Sinne den Lausitzerinnen und Lausitzern, den Cottbuserinnen und Cottbusern ein weiteres Bonmot von Hannes Meyer von vor fast 100 Jahren nahebringen könnten: „Überall ausbrechender Erneuerungswille“.

Diesen Willen gilt es zu befördern, und die Bereitschaft wächst mit jedem konkreten Handeln. Denn darüber reden wir: Das künftig hochmoderne Instandsetzungswerk der Bahn – um das die Belegschaft zuvorderst beharrlich gerungen hat -, die universitäre Medizinerausbildung samt dem digitalen Leitkrankenhaus CTK, die Profilierung der BTU Cottbus-Senftenberg mit Forschung und Entwicklung, ein neuer Gründergeist und manches mehr fließen ein in eine völlig umgekrempelte, klima- und generationengerechte Stadtentwicklung am und ausgehend vom Ostsee. Der Erneuerungswille muss die kommenden Jahre prägen. Wir wollen und müssen die Leute mitnehmen. Dabei helfen uns keine Ideologien und irgendwelche festgezurrten Meinungsbilder. Sie mögen manchmal ihre Berechtigung haben, doch sie hemmen uns in der Sache, nämlich den Erneuerungswillen zu gestalten. Und alles muss auch debattierbar sein! In der sachlichen und fairen Auseinandersetzung zwischen These und Antithese ergibt sich verständlicherweise Reibung und Energie, und diese geistige Energie ist in sichtbares zielorientiertes Tätigwerden zu transformieren. Das kann gut gelingen, denn die meisten werden trotz der und durch die anstehenden Veränderungen nicht vollends herausgerissen aus dem Gewohnten. Unser Vorteil ist, dass wir Bestehendes weiterentwickeln, dass wir draufsatteln. Das ist eine Qualität. Wir haben mit der Leag und der BTU nach wie vor zwei große Player in Stadt und Region, die sich freilich in Teilen neu erfinden müssen. Aber auch das sind keine Gründe zu Jammern, sondern gleichzeitig Chance und Basis für die Zukunft.

„Jedes Zeitalter verlangt seine eigene Form“

Was können wir leisten? Es geht nach wie vor um Tausende Arbeitsplätze, deren Ersatz wir organisieren, für deren Ersatz wir die Grundlagen schaffen müssen. Bei jedem dieser Arbeitsplätze stehen Menschen dahinter, oft mit ihren Familien. Die heute in Lohn und Brot stehen, sollen vernünftig und abgesichert in den Ruhestand gehen können und möglichst auch Zeugen der positiven Veränderungen werden. Die Zukunft schaffen wir für jene, die heute in Bergbau oder im Kraftwerk eine Lehre beginnen oder gerade in den Beruf eingestiegen sind. Denn die Branche läuft bis 2038 und wird als Strom- und Wärmelieferant auch hier in Cottbus/Chóśebuz gebraucht. Daher ist es legitim und vor allem demografisch ratsam, für jene Frauen und Männer die Perspektiven zu schaffen, die sie für ihr Leben hier in der Lausitz brauchen.

Unser Anteil als Stadt an all diesen Prozessen mag manchem gering erscheinen. Ich denke aber, wir sitzen an wesentlichen Stellschrauben. Sie werden heute, das ist zu vermuten oder auch vorherzusehen, einen Antrag beschließen, dass in der Verwaltung ein Geschäftsbereich Wirtschaft und Strukturwandel einzurichten ist. Ich hatte dazu in der Juni-Sitzung die Anregung gegeben, weitere Vorschläge haben die antragstellenden Fraktionen unterbreitet. Grundsätzlich gilt: Wir schaffen damit keine neue Struktur, denn ein Wirtschaftsdezernat gab es bereits einmal. Wir schaffen nicht einmal eine zusätzliche Struktur, denn wir bündeln unsere Kräfte innerhalb der Verwaltung. Das ist dringend geboten, nicht nur im Strukturwandel. Wir konkurrieren dort auch nicht mit der Wirtschaftsregion Lausitz. Hier wird die Cottbuser Verwaltungsarbeit so zusammengefasst, dass sie effektiv für die heimische Wirtschaft, für Ansiedlungen und den gesamten Prozess des Wandels genutzt werden kann. Natürlich, und dazu möchte ich alle auch ausdrücklich ermuntern, wird dazu noch einiges zu diskutieren sein. Das ist ein offener Prozess zu dem Paket. Und sehr gern wiederhole ich mich inhaltlich noch einmal: Wir können Menschen nur für den Wandel begeistern, wenn sie beteiligt werden – das Gleiche gilt für Sie als Stadtverordnete in diesem Vorhaben. Wir sollten aber die Lust und den Bedarf an sachlichem Streit nicht verwechseln oder gar tauschen gegen Debatten mit den ewig herummosernden Kleinkrämerseelen, die neidisch auf uns schauen oder die gar meinen, nicht genug vom Kuchen abzubekommen.

„Cooperation beherrscht alle Welt“

Sehr geehrte Damen und Herren,

Strukturentwicklung ist immer auch Stadtentwicklung oder anders formuliert: Ohne Strukturentwicklung gibt es auch keine Stadtentwicklung. Das kennen wir aus den vergangenen Jahrhunderten, speziell aus der Cottbuser Geschichte der Eisenbahn oder der Tuchindustrie, und das wissen wir somit auch für die Zukunft. Gerade deshalb setzen wir zuallererst auf den heimischen Mittelstand und das heimische Unternehmertum. Dort sind die Menschen, die den Wandel gestalten, ob als Unternehmer oder Beschäftigter. Sie fordern und brauchen die Unterstützung durch die Verwaltung, am besten aus einer Hand – dem künftigen Wirtschaftsdezernat.

Aber auch der heutige Letter of Intent zur Entwicklung am Ostsee oder die kürzlich manifestierte Zusammenarbeit von BTU und CTK zeigen das, was Bauhaus-Architekt Hannes Meyer so beschrieben hat: „Cooperation beherrscht die Welt“.

Hier brauchen wir den gemeinschaftlich abgestimmten Prozess für die ganze Lausitz, in dem Cottbus/Chóśebuz gern Vorreiter und Lokomotive ist. Dafür haben wir die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH, dafür gibt es die Lausitzrunde der Kommunen und viele weitere Gremien. Manche meinen, es sind gar zu viele. Das mag zwar stimmen, aber es ist doch unsere gemeinsame Verantwortung, dass daraus nicht Quatschbuden entstehen, sondern dass sich damit Formen und Möglichkeiten bieten, die Lausitzerinnen und Lausitzer in ihrer Vielfalt und Vielschichtigkeit einzubeziehen und zu beteiligen.

Ich kann zum Teil verstehen, dass uns ein Dresdner Wissenschaftler Ideenlosigkeit im Handeln vorwirft. Gewiss: Der Bau einer Kita und die Asphaltierung eines Weges sind kein Strukturwandel. Ich sehe allerdings für Cottbus/Chóśebuz die gelungene Kombination aus vielen sinnvollen Vorhaben und der nötigen Finanzierung aus dem Strukturstärkungsgesetz als gegeben.

Und natürlich müssen wir immer abwägen und einordnen, was derzeit real umsetzbar ist und was Vision bleibt für die nächsten 30, 40, 50 Jahre. Träumen ist nicht verboten. Wir halten uns aber zunächst an das, was wir bewerkstelligen können, um damit die Basis zu legen für die Träume der kommenden Jahrzehnte.

Wenn wir jedoch Unternehmen Wege ebnen wollen, dann gehören Straßen, Schienen und Glasfaserkabel buchstäblich und unweigerlich dazu. Und wenn über Jahre der Ausbau der verschiedenen Infrastrukturen vernachlässigt worden ist, dann wundert es niemanden, wenn diese jetzt auf den Wunsch- und Dringlichkeitslisten vieler Kommunen ganz oben stehen.

Wir erleben das gerade mit der Debatte und den Wünschen um die Digitalisierung von Schulen und von Unterricht, und die dazugehörige Ausstattung der Schülerinnen und Schüler sowie der Gebäude. Corona hat da die Wünsche wachsen lassen und manch Defizit zutage befördert. Klar: Bildung ist eine der wesentlichen Ressourcen des Wandels. Wir sind sowohl bei der Sanierung von Gebäuden als auch der Digitalisierung auf Fördermittel angewiesen. Das ist bekannt. Gerade haben wir den Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen, das 40 Schulgebäude mit Glasfaserkabel versorgen wird. Grundlage dafür sind mehr als 9 Millionen Euro Fördermittel des Bundes und des Landes Brandenburg. So lange jedoch die wesentlichen Finanzen mehr gönnerhaft von oben nach unten verteilt werden, wird es ein eher schwerfälliges und langsames System bleiben, das niemanden wirklich zufriedenstellt und den Wandel auch nicht beschleunigend voranbringt. Es müsste viel mehr Geld direkt in die Kommunen fließen, gern auch mit einer pauschalen Zweckbindung versehen, um sie handlungsfähig zu machen und sie aus der Rolle des Bittstellers herauszubekommen. Wir sind immer in der fatalen Situation, eigenes Geld nur dann zu haben, wenn wir es an anderer Stelle wegnehmen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz, da ist die haushalterische Decke viel zu kurz. Und es ist wenig erbaulich den Menschen immer wieder erklären zu müssen, ob sie lieber an den Füßen oder am Kopf frieren möchten.

Dennoch müssen wir immer alles und somit groß denken. Um nochmals das Beispiel Ostsee zu bemühen: Wir können aus heutiger Sicht noch nicht sagen, ob die Bahn, wasserstoff- oder biogasbetriebene Busse, die Straßenbahn oder eine Gondel- und Schwebebahn als öffentlichen Nahverkehr zum Ostsee führen. Dazu wird noch viel zu prüfen und zu debattieren sein. Was wir aber bedenken müssen ist, die nötigen Trassen dafür einzuordnen und freizuhalten.

„Das Ergebnis ist das Standardprodukt“

Uns ist klar, dass sich zumindest am Anfang nicht jedes Vorhaben rechnet, nicht jedes Vorhaben wirtschaftlich ist. Darum geht es ja gerade: manches auszuprobieren, manches modellhaft darzustellen, um prüfen zu können, was unter welchen Bedingungen dauerhaft tragfähig ist. Dazu braucht es die Bereitschaft gerade der Fördermittelgeber, aber auch der Gesellschaft, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen und auch über längere Zeiträume zu finanzieren. Die rein wirtschaftliche Betrachtung wird uns hier zunächst nicht weiterbringen, sondern einengen. Noch sind wir nicht an dem Punkt, den mein heutiger Zitatgeber Hannes Meyer so formulierte: „Das Ergebnis ist das Standardprodukt.“ Aber wir arbeiten darauf hin, dass beispielsweise CO2-Neutralität Standard wird bei solchen Vorhaben.

„Wir leben schneller und daher länger“

Mag das Heute das Gestern verdrängen, wie Hannes Meyer sagte. Das wird so sein und ist auch nötig. Wen wir mit dem Strukturwandel aber nicht verdrängen wollen und dürfen, das sind die Menschen in unserer Stadt, in der Region. Dieser Effekt des Strukturbruch nach 1990 einschließlich einer Wegzugsprämie hat einen Großteil der heutigen Probleme und Herausforderungen mit verursacht.

Hannes Meyer hat auch einmal gesagt: „Wir leben schneller und daher länger“. Ja, vieles strömt auf uns ein und will bewältigt sein. Die Prozesse werden hektischer, die Auseinandersetzungen polarisieren, die Informationen fluten uns. Wir machen den Strukturwandel nicht für die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur oder sonst wen. Und da bin ich wieder bei meinem Ursprung der BAUHAUS-Idee: Wir machen den Wandel immer für die Menschen!

Für die Menschen, die in den Unternehmen arbeiten,
für die Menschen, die in die Theater gehen,
für die Menschen, die an der Uni lernen und forschen, und auch
für die Menschen, die die Kneipenkultur genießen –
letztlich für alle, die in der Lausitz leben wollen, für die, die bereits hier sind, und für jene, die zu uns kommen wollen.

Dazu brauchen wir Mut, Zuversicht und ein offenes Visier, wir brauchen Dialog und straffe Entscheidungen und besser Geld als gute Worte, um handlungsfähig zu sein.

(Es gilt das gesprochene Wort.)