Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frau Schadt, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Landesrabbiner, sehr geehrter Herr Kuschnir, liebe Cottbuserinnen und Cottbuser, verehrte Gäste,

fast auf den Tag genau vor 100 Jahren wurde in Cottbus Bertha Hammerschmidt zu Grabe getragen. Es war die erste Beisetzung auf einer Fläche, auf der der neue jüdische Friedhof unserer Stadt wuchs; heute ist er Teil des Südfriedhofes. Bertha Hammerschmidt musste nicht mehr erleben, wie nach 1933 mit ihrer Familie und vielen anderen Familien umgegangen worden ist. Söhne und weitere Angehörige von Bertha und Abraham Hammerschmidt, einer hoch angesehenen Rechtsanwaltsfamilie, wurden 1938 und in den Folgejahren Opfer des Rassenwahns der Nationalsozialisten. Heute erinnert die Hermann-Hammerschmidt-Straße in Sandow an den oft selbstlosen Einsatz der Familie für ihre Mitbürger. Sichtbares Zeichen für diese Erinnerung sind zudem die fast 80 „Stolpersteine", die auf das Schicksal jüdischer Bürgerinnen und Bürger hinweisen, die dem Hass der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Darunter finden sich in der Bahnhofstraße auch mehrere „Stolpersteine" für die Familie Hammerschmidt. Im März kommenden Jahres werden wir einen weiteren Stein verlegen.

Der 9. November 1938 hat sich buchstäblich eingebrannt in die deutsche Geschichte. Auch hier in Cottbus setzten Nationalsozialisten die Synagoge – nur wenige Schritte entfernt von hier – in Flammen. Es begann die systematische Verfolgung jüdischer Bürgerinnen und Bürger. Sie wurden unter Druck gesetzt, geächtet, gedemütigt, mit Berufsverboten belegt, abgeholt, in den Tod getrieben, umgebracht.

Es darf für uns keinen Moment geben, sich diese Verantwortung aus der Geschichte und der wiedergewonnenen Freiheit nicht zu vergegenwärtigen. Gerade weil sich auch heute wieder Hass und Vorurteile breitmachen und Angst vor dem Fremden, dem „Nicht dazu Gehörigen" geschürt wird.

Wir dürfen uns nicht gewöhnen an den Krieg, der sich in die Worte und Köpfe einschleicht und hoffähig gemacht wird; nicht gewöhnen an den Hass und die Ablehnung und auch nicht gewöhnen an die oft kläglich wirkenden „Spaziergänge" oder Infostände derer, die Hass verbreiten und Geschichte umdeuten. Wir dürfen uns nicht gewöhnen an das „Nicht mehr wissen wollen" und das Schulterzucken zu Dingen, die vermeintlich lange her sind.

Dies umso mehr, als wir auch heute mit Ausgrenzung und Ablehnung nicht weiterkommen. Mehr als 2000 Menschen haben seit dem vergangenen Jahr hier in Cottbus eine neue Heimat und Perspektiven jenseits von Krieg, Gewalt und wirtschaftlichem Elend gesucht. Wir stellen uns den daraus resultierenden Aufgaben als offene Gesellschaft und wehrhafte Demokratie.

Auf ähnliche Art und Weise haben in den 1990er Jahren neue Mitbürger jüdischen Glaubens vor allem aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion Aufnahme in Cottbus gefunden. Aus dieser Gemeinschaft wuchs eine neue jüdische Gemeinde. Vor zwei Jahren konnte sie die neue Synagoge, die erste seit 1945 im Land Brandenburg, in Besitz nehmen und am 27. Januar 2015 einweihen. Die Synagoge wird Ziel unseres heutigen Gedenkganges durch die Stadt sein. Jüdisches Leben als Bereicherung mitten in unserer Stadt zu schützen und zu unterstützen – das ist unsere Lehre und Verantwortung aus den Geschehnissen der Pogromnacht des 9. November 1938.