Europa braucht starke Städte – Kommunen garantieren Bürgernähe – Jugendaustausch intensivieren

Die Städte in Deutschland haben für das weitere Zusammenwachsen Europas eine Schlüsselrolle. Städte sorgen für Bürgernähe und realisieren in Partnerschaft mit der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten europäische und nationale Politik. Die Europäische Union kann ihre Bürgerinnen und Bürger nur erreichen, wenn sie die Kommunen als demokratische, bürgernahe Ebene einbezieht. Die deutschen Städte stehen dafür als Partner bereit. – Das hat der Deutsche Städtetag zum Abschluss seiner Hauptversammlung in Frankfurt am Main heute in einer „Frankfurter Erklärung" deutlich gemacht.

Der neu gewählte Präsident des Deutschen Städtetages, Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly, sagte: „Europa braucht starke Städte auf dem Weg der europäischen Integration und für die Integration der Menschen innerhalb der europäischen Staaten. Zwei Drittel der EU-Bevölkerung lebt in Städten. Keine andere Verwaltungsebene hat eine so große Nähe zur Bevölkerung, keine andere Ebene verwirklicht so viele europäische Regelungen. Deshalb müssen die Kommunen stärker als bislang auch als gleichberechtigte Partner der Europäischen Union mitwirken können und in die europäische Politik einbezogen werden." Die Städte benötigten deshalb eine Garantie ihrer klaren Rechte und Kompetenzen: Diese seien erstmals im Vertrag von Lissabon verankert worden und müssten in der Alltagsarbeit der EU-Kommission in Brüssel noch stärker beachtet werden.

Maly: „Was Europa nicht regeln muss, sollte es auch nicht anpacken, sondern den Mitgliedsstaaten und den Kommunen überlassen, die im Alltag nah bei den Menschen sind. Der Weg Europas von den Köpfen in die Herzen der Menschen geht nur über die Städte. Europa ist groß, abstrakt und weit weg. Nur wenn wir klar machen können, wie wichtig Europa für uns vor Ort ist, wird mehr Identi­fikation entstehen können."

Städte ermöglichen Identifikation. Bürgerinnen und Bürger schaffen und gestalten die Stadt. „Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie wir zuneh­menden Vertrauensverlust und Politikverdrossenheit begegnen und die Bürgerinnen und Bürger einladen und ermutigen, sich aktiv an der Gestaltung ihres Lebensumfelds zu beteiligen. Hier tragen wir Kommunalpolitiker eine besondere Verantwortung." Die Städte seien die Wiege der Demokratie und gleichzeitig das Laboratorium, um die Demokratie weiter­zuentwickeln.

Die europäische Integration und die Integration innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten verlangt nach Einschätzung des Deutschen Städtetages verstärkt nach Möglichkeiten zum Austausch und zu Partnerschaften. Sie können das Zusammenwachsen erleichtern und sollten deshalb stärker gefördert werden. „Wer das Zusammenwachsen Europas beflügeln möchte, der muss das Miteinander der Jugend Europas fördern. Der Deutsche Städtetag schlägt vor, bestehende Jugendaustauschprogramme auf europäischer Ebene zu intensivieren. Die Mittel dafür dürfen in der kommenden Programmplanungsperiode der EU 2014 bis 2020 keinesfalls gekürzt werden. Es gilt vor allem, die Länder in den Fokus zu rücken, mit denen der Jugendaustausch noch nicht so intensiv ist. Wir regen außerdem Städtepartnerschaften mit Kommunen aus diesen Ländern an", so Maly.

Lösungen für Armutswanderung suchen

Neben Fördermaßnahmen, die das künftige Europa gestalten helfen, sind die Städte aber auch auf eine stärkere Unterstützung bei der Lösung kommunaler Probleme mit europäischer Dimension angewiesen, beispielsweise bei der Armutswanderung und ihrer Bewältigung. „Die Auswirkungen der Armutswanderungen innerhalb Europas sind vor allem in Städten spürbar. Den davon betroffenen Städten fehlen aber die geeigneten Mittel für eine Lösung. Deshalb müssen Bund, Länder und die Europäische Union mehr Verantwortung übernehmen. Wer die Armutswanderung und ihre Folgen wirklich vermeiden will, der muss die wirtschaftliche Entwicklung in Herkunftsländern fördern, eine Angleichung der Lebensstandards der Menschen und europaweit funktionierende Sozialstrukturen unterstützen."

Doch auch bei anderen Problemen hierzulande und mitunter schwierigen Integrationsaufgaben benötigten die Städte die Unterstützung und finanzielles Engagement von Bund und Ländern, so Maly. „Programme wie ‚Soziale Stadt’ sind unverzichtbar, um den Städten bei ihrer Integrationsarbeit und beim Ausgleich schwieriger Entwicklungsbedingungen wirksam zu helfen."

„Kollisionen mit der kommunalen Selbstverwaltung vermeiden"

Angesichts der Sparzwänge, die sich für Bund und Länder aus der Schuldenkrise, den Vorgaben aus dem Fiskalpakt und der Schuldenbremse ergeben, gilt es außerdem die Finanzaustattung der Städte zu sichern. Nur so können die Städte ihren Aufgaben in Zukunft gerecht werden, was immer auch eine Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung ist, betont die neue Vizepräsidentin, Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse aus Ludwigshafen: „Die Städte brauchen unbedingt auch in Zeiten der Schuldenbremse eine auskömmliche Finanzausstattung, um ihre Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen zu können. Daneben ist Konsolidierung nötig. Sie kann nur dann gelingen, wenn sie letztlich von der Bevölkerung akzeptiert und geteilt wird. Jede Sparanstrengung ist deshalb an die Frage geknüpft, welche öffentlichen Leistungen sich die Gesellschaft leisten will, und anschließend ist die Frage der Finanzierung zu klären."

Dringlich zu schützen seien die kommunalen Leistungen der Daseinsvorsorge, die keinen unnötigen Beschränkungen durch die EU unterworfen werden dürften. Die Kommunen stellen beispielsweise einen hervorragend funktionierenden öffentlichen Nahverkehr bereit, sichern die Wasserversorgung und das Sparkassenwesen und ermöglichen allen Menschen gleichen Zugang zu Bildung sowie zu sozialen oder kulturellen Einrichtungen. Die im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Privilegierung der kommunalen Daseinsvorsorge müsse auch im grenzüber­schreitenden Wettbewerb beachtet werden.

Nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch bei der künftigen Ausge­staltung Europas verlangt der Deutsche Städtetag den Schutz der kommunalen Selbstver­waltung. Lohse: „Die Europäische Union braucht eine Art politisches Navigationssystem, das ihr hilft, Kollisionen mit dem Prinzip der kommu­nalen Selbstverwaltung zu vermeiden. Wenn tatsächlich die Ebene handelt, die dazu am besten geeignet ist, lässt sich Zentralismus vermeiden und Bürgernähe in der Europäischen Union fördern. Der europäischen Gesetzgebung fehlt es manchmal an Sensibilität bezüglich lokaler Strukturen. Nur wenn lokale Demokratie in der EU lebendig bleibt, wird Europa wirklich bürgernah und in Zukunft erfolgreich sein."

Bund und Länder forderte die Vizepräsidentin auf, kommunale Anliegen wirkungsvoll gegenüber den europäischen Institutionen zu vertreten. Dazu zähle auch eine stärkere Einbindung der Kommunen durch eine stärkere Rolle für sie im Ausschuss der Regionen in Brüssel. Unter den 24 Vertretern, die Deutschland in dieses Gremium entsendet, dürften nicht länger lediglich drei Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen sein. Es liege vor allem in der Hand der Länder, den Anteil der Kommunen deutlich aufzustocken und es damit anderen europäischen Staaten gleichzutun.

Städte brauchen mehr Entlastungen und keine neuen Belastungen

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, sprach zum Abschluss der Hauptversammlung die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen an und kam zu dem Schluss, dass die Finanzierung neuer und der Ausbau bestehender Aufgaben durch Bund und Länder eher einem Roulette-Spiel gleiche als einem soliden Verfahren. Dabei sei der Bund faktisch nie und die Länder nur in Einzelfällen gezwungen, die den Kommunen entstehenden Kosten zu refinanzieren. In dieser Rollenteilung komme es seit mehr als drei Jahrzehnten zu ernsthaften kommunalen Haushaltslücken und kommu­naler Überschuldung – immer häufiger und immer heftiger. „Die Städte brauchen deshalb mehr Konnexität nach dem Prinzip ´Wer bestellt, bezahlt`, mehr Entlastungen und keine neuen Belastungen."

Articus weiter: „Die meisten überschuldeten Kommunen gibt es in Ländern, die selbst überdurchschnittlich große Haushaltsprobleme haben. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob diese Länder selbst überhaupt in der Lage sind, die Überschuldung ihrer Kommunen zu überwinden. Die über Jahrzehnte aufge­häufte Überschuldung kann wahrscheinlich nur in der Konstellation überwunden werden, in der ihr Entstehen möglich war: in dem Beziehungsgeflecht von Kommunen, Ländern und Bund."