Appell der Städte an die EU: Kommunalfreundliche Gesetzgebung mit größerer Bürgernähe verwirklichen

Die deutschen Städte verbinden hohe Erwartungen mit der Umsetzung des Lissabon-Vertrages der Europäischen Union. Sie appellieren an die Europäische Kommission, den Rat und das Europäische Parlament, die durch den Vertrag gestärkte Rolle der Kommunen nun durch eine kommunalfreundliche Gesetzgebung mit größerer Bürgernähe zum Ausdruck zu bringen. Das erklärte die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, gestern nach einer Präsidiumssitzung des kommunalen Spitzenverbandes in Brüssel. In den vom Deutschen Städtetag vertretenen Städten leben rund 51 Millionen EU-Bürger.

„Die europäische Union hat mit dem Lissabon-Vertrag erstmals die kommunale Selbstverwaltung anerkannt. Diesen Quantensprung im Verhältnis zwischen Kommunen und EU gilt es jetzt entschlossen auch in der Praxis zu verwirklichen. Das neue EU-Vertragswerk erlaubt kein ‚Weiter so’. Es eröffnet die große Chance, Europa den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort besser vermitteln zu können und die Akzeptanz der EU bei den Menschen in den Städten zu stärken“, so Präsidentin Roth. Deshalb hätten die Städte den Vertrag von Anfang an unterstützt.

In dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag wird erstmals in der Geschichte der EU die kommunale Selbstverwaltung in den rechtlichen Grundlagen der Union erwähnt. Aufgewertet wird auch das offizielle Organ der kommunalen und regionalen Interessenvertretung in der EU, der Ausschuss der Regionen, der ein Klagerecht bei möglichen Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip erhält. Außerdem wird die regionale und lokale Ebene ausdrücklich in die Geltung des Subsidiaritätsprinzips einbezogen, so dass die EU-Organe die kommunale Kompetenzordnung der Mitgliedstaaten berücksichtigen und die kommunalen Spitzenverbände in einen regelmäßigen Dialog und in Anhörungen einbeziehen müssen.

„Die neuen Bestimmungen müssen nun konsequent angewandt werden. Wir gehen davon aus, dass die Kommunen in Zukunft bei der Entstehung europäischer Regelungen intensiv eingebunden werden“, sagte Petra Roth. Da EU-Gesetze von den Städten umzusetzen seien, garantiere ihre frühzeitige Einbeziehung praxistaugliche Regelungen, die auch von den Bürgerinnen und Bürgern nachvollzogen werden können.

In diesem Zusammenhang unterstützen die Städte auch den auf EU-Ebene eingeschlagenen Weg, das EU-Recht zurückzubauen und zu vereinfachen. „Wer die europäische Gesetzgebung verbessern will, muss auch eine wirksame Folgenabschätzung der Gesetze betreiben“, forderte Frau Roth. Dabei müsse auch geklärt werden, ob die Umsetzung in den Städten leistbar ist. Die EU-Luftqualitätsrahmenrichtlinie – Stichwort Feinstaubbelastung – und die EU-Umgebungslärmrichtlinie zeigten zum Beispiel, dass bisher die Umsetzbarkeit zu wenig beachtet werde: „Wenn die EU lediglich Grenz- oder Zielwerte für Luftschadstoffe oder zur Lärmreduzierung beschließt und meint, dass die Mitgliedstaaten und die Kommunen diese schon irgendwie durchsetzen, greift das zu kurz. Die EU-Gesetzgebung darf sich in solchen Fällen nicht scheuen, zeitgleich Maßnahmen wie zum Beispiel verschärfte Abgasstandards für PKW und LKW vorzugeben, die die Belastung der Menschen verringern.“

Die EU sollte, so die Städtetagspräsidentin weiter, darüber hinaus mehr Mut haben, Gesetze für eine befristete Zeit zu beschließen und ihre Wirksamkeit und ihren Sinn nach Ablauf der Frist kritisch zu hinterfragen. Auch das gehöre zu einem wirksamen Bürokratieabbau.

Deutscher Städtetag warnt vor Verzicht auf „Ziel 2“ im Strukturfonds - „EU-Förderung für Stadtentwicklung unbedingt fortsetzen und Daseinsvorsorge durch Spielräume im Vergaberecht sichern“

Der Deutsche Städtetag spricht sich dafür aus, die Strukturförderung der Europäischen Union unbedingt auch für den Bereich regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung beizubehalten. In den bereits begonnenen Beratungen über den EU-Finanzrahmen 2014 bis 2020 dürfe die sogenannte „Ziel-2-Förderung“ nicht zur Disposition gestellt werden, sagte der Vizepräsident des kommunalen Spitzenverbandes, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, gestern nach Beratungen des Städtetagpräsidiums in Brüssel.

„Städte sind in der Europäischen Union Motoren der regionalen Entwicklung. In den städtischen Räumen der EU leben etwa 80 Prozent der Bevölkerung. Nachhaltige Stadtentwicklung, die zum Ziel-2-Programm der Strukturfonds gehört, muss deshalb auch in Zukunft von der EU aktiv unterstützt werden“, betonte Ude. Die Städte betrachteten mit Sorge, dass zumindest in Teilen der EU-Kommission der europäische Mehrwert der Ziel-2-Förderung in Frage gestellt werde. „Gerade in den städtischen Ballungsräumen können zum Beispiel Maßnahmen für eine klimaschonende Energieerzeugung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besonders wirksam sein“, so der Städtetagsvizepräsident. In Deutschland stehen in der laufenden Förderperiode 2007 bis 2013 aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds 26,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Darin enthalten sind auch die Mittel für das Ziel-2-Programm.

Der Deutsche Städtetag appellierte außerdem an die EU-Kommission, in der nächsten Förderperiode der Strukturfonds die „städtische Dimension“ stärker zu verankern. In der laufenden Förderperiode wurde erreicht, dass die Städte an den Förderprogrammen unmittelbar beteiligt werden, allerdings nur als Option. Durch diese Regelung würden die einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich berücksichtigt, so Ude. Deshalb empfehle der Städtetag eine Mindestquote für die nachhaltige Stadtentwicklung, für die die EU-Kommission in der Debatte um die geltenden Regeln ebenfalls eingetreten sei.

Vizepräsident Ude äußerte sich auch zu den für die deutschen Städte besonders bedeutsamen Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge für die Bevölkerung, etwa im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs, der Energieversorgung und der Abfallentsorgung. Der Lissabon-Vertrag gehe hier erfreulicherweise von weitem Ermessenspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden aus, wie sie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse für die Nutzer mit hoher Qualität zur Verfügung stellen, in Auftrag geben und organisieren.

„Diese Aussagen des EU-Vertrages zur Daseinsvorsorge gilt es mit Leben zu erfüllen. Dazu muss das europäische Vergaberecht angemessene Gestaltungsspielräume ermöglichen“, so Ude. Positiv wertete er die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur interkommunalen Zusammenarbeit und zur Frage der Ausschreibungspflicht im Zusammenhang mit städtebaulichen Verträgen. Dadurch seien viele kommunale Sorgen in Deutschland beseitigt worden.

Spielräume im Vergaberecht hätten für die deutschen Städte einen hohen Stellenwert, weil die öffentliche Infrastruktur in kaum einem anderen EU-Staat so dicht und qualitativ hochwertig ausgebaut sei wie in Deutschland. „Die Städte verantworten bei uns nicht nur einen guten ÖPNV oder eine gute Stromversorgung, sondern erbringen in vielen Fällen diese Leistungen auch selbst oder durch eigene Unternehmen. Die Chance dazu wollen wir für die Menschen erhalten, und deshalb darf die EU den Städten dabei nicht unnötig Fesseln anlegen“, sagte Ude.