Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Cottbus bedanken sich am 08. November bei drei Bürgerrechtlern. Sabine Bürger-Wüst, Cornelia Jahr und Christoph Polster erhalten im Schloss Branitz aus den Händen von Oberbürgermeister Frank Szymanski die Ehrenmedaille der Stadt Cottbus. Jedes Jahr im November, aus Anlass der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt Cottbus im Jahre 1156, vergibt die Niederlausitzer Kommune an verdienstvolle Bürgerinnen und Bürger die höchste Auszeichnung. Verbunden mit der Medaillenverleihung ist die Eintragung in das Goldene Buch der Stadt. Die Ehrenmedaille, welche die Stadt erstmalig 1995, im Jahr der Bundesgartenschau, verlieh, erhielten in der Vergangenheit stadtbekannte Ärzte, Heimatforscher, Künstler und Wissenschaftler, unter ihnen das Ehepaar Dora und Heinrich Liersch, Generalmusikdirektor Frank Morgenstern, BTU-Gründungsrektor Günter Spur, der Schriftsteller Hans-Hermann Krönert und die Kinderärztin Vera Jacob. Diesmal geht die Ehrung an drei Bürgerrechtler aus der Zeit der friedlichen Revolution.

Die Opposition hatte vor 1989 in Cottbus drei Keimzellen, die zunächst unabhängig voneinander existierten und sich später zunehmend vernetzten. Es gab seit dem Juli 1987 die Umweltgruppe Cottbus unter der Anleitung von Christoph Polster und Peter Model. Fünfzig Personen arbeiteten in den drei Sektionen Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie. Die Gruppe wurde von Anfang an von der Staatssicherheit ernst genommen. Sie galt als die „…gefährlichste…“ Kraft im Bezirk Cottbus. Die zweite Gruppe entstand im Bezirkskrankenhaus. Mittleres medizinisches Personal und Ärzte betrieben die Gründung einer Basisgruppe. Treibende Kraft war hier Sabine Bürger-Wüst. Sie war für die Staatssicherheit die „Rädelsführerin“, die Feindin des Sozialismus. Sabine Bürger-Wüst hatte U-Haft im Stasi-Gefängnis mit erkennungsdienstlicher Behandlung hinter sich. In ihr verbinden sich unnachahmlicher Mut und fröhlicher Optimismus. Das dritte Zentrum entstand am Theater. Mit den Stücken zur Perestroika-Zeit machte das Schauspielensemble den Cottbuserinnen und Cottbusern Mut. Kurzfristig wurde das Haus dann selbst Schauplatz für die friedliche Revolution. Die Politisierung der Gesellschaft machte im Herbst 1989 das Theater zur politischen Plattform des realen Lebens. Das alles ist mit dem Namen von Cornelia Jahr verbunden.

Sabine Bürger-Wüst

Sabine Bürger-Wüst wurde am 25. Januar 1959 in Ludwigslust geboren. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Bauwesen; später ließ sie sich zur Ergotherapeutin ausbilden. Bereits seit 1978 wirkte Sabine Bürger-Wüst als Vertrauensstudentin der evangelischen Studentengemeinde Cottbus unter Pfarrer Lux. Die Studierenden setzten sich dort mit gesellschaftlichen Themen auseinander. Sabine Bürger-Wüst entwickelte in dieser Zeit einen großen Freundeskreis, auch über die Grenzen der DDR hinaus. Sie wirkte bei der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ mit, die für junge Christen in der DDR eine große Bewährungsprobe darstellte. Die Erfahrungen und Kontakte bei der Arbeit unter dem Dach der Kirche und der große Kreis von Freunden führten später in Cottbus zur raschen Verbreitung des Aufrufpapiers des Neuen Forums.

Seit 1987 arbeitete Sabine Bürger-Wüst als Arbeitstherapeutin im damaligen Bezirkskrankenhaus Cottbus. Schon vor 1989 galt die Krankenhausmitarbeiterin in den Augen der Staatssicherheit als „Rädelsführerin“ der „feindlich-negativen Kräfte“ in Cottbus. Seit 1988 wurde ihre Wohnung observiert. Im Cottbuser Krankenhaus hatte sich eine eigene Zelle zur Gründung des „Neuen Forums“ herausgebildet. Die Initiatoren verbanden sich mit anderen Gruppen in der Stadt Cottbus und trafen sich seit dem Sommer 1989 in privaten Wohnungen mit wechselnden Adressen. Zusammenkünfte fanden auch in der Wohnung von Sabine Bürger-Wüst in der Cottbuser August-Bebel-Straße statt. Sabine Bürger-Wüst hielt den Kontakt zur zentralen Gruppe des Neuen Forums in Berlin und war wesentlich an den Gründungsverhandlungen in Cottbus beteiligt. Das entscheidende Datum war der 26. September. An diesem Tag war Sabine Bürger-Wüst zu einem Gespräch beim Stellvertretenden Vorsitzenden für Inneres beim Rat des Bezirkes geladen. Sie hatte eine Woche zuvor die Unterlagen zur Zulassung des Neuen Forums bei den staatlichen Stellen eingereicht. Der Antrag wurde abgelehnt. Auf die Aktionen des entstehenden „Neuen Forums“ antwortete der Staat mit Bereitschaftspolizei und Hundestaffel. Erst am 10. November wurde schließlich die Gründung des Neuen Forums legalisiert.

Sabine Bürger-Wüst, die ab Dezember auch am Runden Tisch des Bezirkes arbeitete, hat bald nach den Ereignissen die Stadt verlassen. Vieles, was ihre Person betrifft, ist nur mündlich überliefert. Für eine längere Zeit war sie die wichtigste Person des Widerstandes. Sie hat den Machtapparat in seiner vollen Härte noch gespürt. Sabine Bürger-Wüst leistete Widerstand, als das noch lebensgefährlich war. Ihr Beitrag ist in Cottbus unvergessen.

Cornelia Jahr

Cornelia Jahr, die Organisatorin der ersten Cottbuser Demonstration, wurde 1955 in Dresden geboren. Sie studierte an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Am Theater der Stadt Cottbus war Cornelia Jahr mit Beginn der Spielzeit 1977/78 18 Jahre lang als Schauspielerin beschäftigt. Seit Mitte der Neunzigerjahre ist sie freiberufliche Schauspielerin und Sprecherin.

Schon während der Zeit ihres Studiums und der beruflichen Tätigkeit hatte die Schauspielerin regen Kontakt zu Kirchengemeinden und zu kirchlichen Oppositionsgruppen. Sie war Mitglied im Gemeindekirchenrat der Oberkirchgemeinde und hatte Verbindungen zu Kirchentagsgruppen und zur Umweltgruppe Cottbus. Beim Neuen Forum übernahm die Bürgerrechtlerin verschiedene wichtige Aufgaben. Cornelia Jahrs entscheidender Beitrag war jedoch, allen Widerständen zum Trotz in Cottbus die erste, entscheidende Massendemonstration organisiert zu haben. Auf die Pläne, auch in Cottbus die Bürger zu Demonstrationen aufzurufen, reagierte die Parteiführung mit Einladungen zu artigen Diskussionsrunden in verschiedenen Sälen der Stadt. An insgesamt elf Orten sollte der Unmut der Cottbuserinnen und Cottbuser kanalisiert werden. Da von der Gruppe des Neuen Forums der Termin 06. November beschlossen war, nahm Cornelia Jahr an diesem Tag die Verantwortung auf sich und lud die Menschen zur Demonstration vor das Theater ein. Um 17:00 Uhr eröffnete Cornelia Jahr vor ihrem Theater die Kundgebung mit den Worten: „Viele Cottbuser haben auf diesen Tag gewartet!“

Die Zahlen der Teilnehmer schwanken zwischen 20.000 und 40.000. Sie forderten in mächtigen Sprechchören das Erscheinen von Werner Walde, Kandidat des Politbüros und 1. Bezirkssekretär, der, vorbereitet auf eine artige Diskussion im Stadttheater, nach kurzem Zögern erschien. Von einer aufgebrachten Menschenmenge umringt, vollzog sich ohne jede Gewalt die Demontage der langjährigen ersten Autorität des Bezirkes. Der Demonstrationszug endete vor der Oberkirche. Innerhalb nur einer Woche brachen die politischen Strukturen der Stadt und des Bezirkes zusammen. Schon im Dezember existierte mit dem „Runden Tisch“ ein neues Machtzentrum.

Christoph Polster

Christoph Polster stammt aus Leipzig. Er feiert am 15. Dezember seinen 60. Geburtstag. Der heutige geschäftsführende Pfarrer der Oberkirche studierte in Berlin zunächst Physik und Meteorologie, später Theologie. Seit Mitte der Achtzigerjahre arbeitete er als Pfarrer der Bodelschwingh-Gemeinde und betreute zeitweise die Cottbuser Oberkirchgemeinde.

Als Seelsorger nahm Christoph Polster großen Anteil an den Aktionen der Kirche für Frieden und Bürgerrechte. Die Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ und später, 1988, der Gedenkmarsch zur Reichspogromnacht wurden von ihm mitorganisiert. 1987 bildete sich die Cottbuser Umweltgruppe heraus, die ab 1988 auch an die Öffentlichkeit trat. Peter Model und Christoph Polster waren die entscheidenden Koordinatoren. Alle drei Untergruppen, die Gruppe Umwelt, die Gruppe Gerechtigkeit und die Gruppe Frieden, wurden scharf überwacht. Einschüchterungsversuche, Verbote und Überwachungen, bis zur Mobilisierung von Kampfgruppen, waren die Antwort des Staates.
Gemeinsam mit Sabine Bürger ist Christoph Polster einer der Begründer des Neuen Forums. Das Neue Forum war der Ursprung aller Veränderungen, die nach der Demonstration am 30. Oktober 1989 in Cottbus begannen. In den 89er Herbsttagen erwarb sich Christoph Polster große Verdienste um den friedlichen Verlauf der „Wende“ und den geordneten Übergang zur Demokratie. Am Runden Tisch des Bezirkes Cottbus stellte er gemeinsam mit den anderen neuen Bewegungen die entscheidenden Weichen für einen guten Start der Stadt in die Marktwirtschaft. Nach den demokratischen Wahlen 1990 gehörte Christoph Polster zunächst zur Fraktion „Bündnis für Cottbus“ der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung. Nach dem Tod von Dr. Peter Model wirkte er als Stellvertretender Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. In der Fraktion des Bürgerbündnisses übernahm er die Fraktionsführung. In der 2. Legislaturperiode leitete Christoph Polster den Jugendhilfeausschuss der Stadt.

Christoph Polsters Verdienst für die friedliche Revolution besteht besonders im Nachweis der Wahlfälschung. Trotz der massiven Überwachung waren die Umweltgruppen im Mai 1989 soweit vernetzt, dass sie mit einer einfachen, aber genialen Methode das System der Lüge bloßstellen konnten. Sie nahmen an den öffentlichen Auszählungen teil und setzten die ermittelten Zahlen ins Verhältnis zu dem später verkündeten amtlichen Endergebnis. So geschah es auch in Cottbus. Die Umweltgruppe nahm an den Auszählungen in 31 der 91 Cottbuser Wahllokale teil. In Christoph Polsters Wohnung ergab die anschließende Zusammenfassung: In den 31 besuchten Wahllokalen hatten 560 Wählerinnen und Wähler trotz aller Einschüchterungsmaßnahmen mit Nein gestimmt. Der Betrug lag auf der Hand, als das amtliche Endergebnis für alle 91 Wahllokale plus die vier Briefwahllokale die Gesamtzahl der Neinstimmen mit 540 angab.