Erheblicher Finanzbedarf für den ÖPNV – In der nächsten Legislaturperiode politischen Konsens erarbeiten

Für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) besteht in den kommenden Jahren ein erheblicher Finanzbedarf, um Infrastruktur und Betrieb zu sichern und weiterzuentwickeln. Das hat die Studie „Finanzierungsbedarf des ÖPNV bis 2025“ ergeben, die gemeinsam vom Deutschen Städtetag, den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen sowie dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Auftrag gegeben und gestern in Frankfurt (am Main) vorgestellt wurde.

„Der ÖPNV in Deutschland hat heute einen im internationalen Vergleich herausragenden Standard. Die vorhandenen Standards wollen und müssen erhalten und in Anbetracht des Klimawandels und der Ressourcenknappheit effizient weiterentwickelt werden“, sagten für die Auftraggeber der Studie Petra Roth, Präsidentin des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, Lutz Lienenkämper, Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, und Volker Sparmann, VDV-Vizepräsident und Sprecher der Geschäftsführung der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH (RMV). Mit der Studie sei Basismaterial für eine faktenbasierte politische Diskussion über die Zukunft der Finanzierung des ÖPNV in Deutschland erarbeitet worden. Losgelöst von allen aktuellen Einzelinstrumenten der ÖPNV-Finanzierung liege jetzt der Gesamtmittelbedarf für ein angemessenes und effektiv bedientes bundesweites Angebot vor. „Diese objektive Ermittlung stellt damit die umfassendste Untersuchung zu dieser Thematik dar, die jemals in Deutschland durchgeführt wurde“, betonten die Auftraggeber.

Ziel sei es, den stetigen Rückzug der öffentlichen Hände zu stoppen. „In der Realität der vergangenen Jahre hat sich zunehmend die Tendenz gezeigt, dass die Kofinanzierung des ÖPNV aus öffentlichen Kassen massiv zurückgenommen wird“, kritisierten die Auftraggeber gemeinsam. So seien z. B. die Regionalisierungsmittel des Bundes durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 stark gekürzt und die Bundesfinanzhilfen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) durch die Föderalismusreform I zum Auslaufmodell erklärt worden. Die bisherige Zweckbindung bei den Länderprogrammen im Entflechtungsgesetz ist nur bis einschließlich 2013 gewährleistet und der Auslauf dieser Finanzhilfen für Ende 2019 vorgesehen. „Das Argument, dass die Infrastrukturen Deutschlands bis dahin fertiggestellt sein werden, trägt nicht. Insbesondere für Erneuerungsinvestitionen werden erhebliche Mittel benötigt“, so die Auftraggeber der Studie.

Die Vorgaben der Auftraggeber für die Gutachter der Intraplan Consult GmbH, was ein angemessenes ÖPNV-Angebot ist, seien bewusst bodenständig gewählt worden: „Es ist Seite 2 von 3 also kein ‚politischer Wunschzettel‘“, betonten die Auftraggeber. Die Arbeit der Gutachter sei zudem durch einen Lenkungskreis begleitet worden, in dem auch Vertreter des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beratend tätig waren. Dabei wurden alle ÖPNV-Angebote unter den Gesichtspunkten der Effizienz und des demografischen Wandels auf den Prüfstand gestellt. „Damit ist das Ergebnis die untere Grenze dessen, was zukünftig tatsächlich notwendig sein wird. Die Studie belegt, dass auch nach 2019 eine verlässliche Mitfinanzierung des ÖPNV aus öffentlichen Kassen erforderlich bleiben wird.“

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie der Intraplan Consult GmbH:

  • Inzwischen besteht ein Nachholbedarf für bis heute nicht ausgeführte Erneuerungsinvestitionen in die Fahrwege und Bahnhöfe der U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen in Höhe von knapp 2,4 Milliarden Euro. Für turnusmäßige Reinvestitionen werden bis zum Jahr 2025 darüber hinaus jährlich 550 Millionen Euro benötigt. Hiervon können zurzeit aus Eigenmitteln der Aufgabenträger und Infrastrukturbetreiber jährlich 220 Millionen Euro finanziert werden. Durch die verbleibende Finanzierungslücke erhöht sich der Finanzierungsbedarf also Jahr für Jahr um 330 Millionen Euro.
  • Der ermittelte Finanzierungsbedarf für den Betrieb des ÖPNV erhöht sich von 8,58 Milliarden Euro im Jahr 2007 um real etwa 6,8 Prozent auf 9,16 Milliarden Euro im Jahr 2025 und wird damit in diesem Zeitraum um etwa 580 Millionen Euro ansteigen.
  • Ferner besteht für die Fahrwege der nichtbundeseigenen Eisenbahnen ein jährlicher Reinvestitionsbedarf für den Schienenpersonennahverkehr in Höhe von etwa 80 Millionen Euro im Jahr, für dessen Mitfinanzierung aus öffentlichen Kassen derzeit keine gesetzliche Grundlage besteht.
  • Die genannten Beträge enthalten noch keinen Inflationsfaktor.
  • Der Bedarf an Neuinvestitionen für ÖPNV-Projekte steigt von 1,65 Milliarden Euro 2007 nominal bis zum Jahr 2025 auf 2,03 Milliarden Euro pro Jahr.
  • Die anteilige Deckung dieses Bedarfs durch das GVFG bzw. das Entflechtungsgesetz ist bis 2019 nur teilweise und nach 2019 gar nicht gesichert. Angesichts der notwendigen Planungsvorläufe ist eine zeitnahe Entscheidung über eine Nachfolgeregelung unerlässlich. Will man die als gesamtwirtschaftlich vorteilhaft erkannten Infrastrukturvorhaben realisieren, ist gegenüber dem Status quo auch eine höhere Quote des ÖPNV an den für Investitionen verfügbaren Mitteln erforderlich.

Die Präsidentin des Deutschen Städtetages und Frankfurter Oberbürgermeisterin, Petra Roth, erklärte: „Ohne ein gut ausgebautes Netz an U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen sowie Bussen können die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung in den Ballungsräumen nicht befriedigt werden. Außerdem sind sie Voraussetzung für ein lebendiges Wirtschaftsleben. Ohne Bus und Bahn wären viele hunderttausende Pendler aufs Auto angewiesen. Das hätte dramatische Folgen für die Luftqualität und die Lärmbelastung in den Städten. Bereitstellung und Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs sind deshalb auch gelebter Klimaschutz.“