Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,
liebe Cottbuserinnen und Cottbuser,
verehrte Gäste,

als wir uns im Juli an dieser Stelle und in diesem Kreis zuletzt trafen, steuerten wir das Schiff Stadt Cottbus in ruhigeres Fahrwasser. Sie, sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete, hatten gerade den Haushalt für das laufende Jahr mit einem kleinen Plus verabschiedet. Ein sehr heißer Sommer lag da noch vor uns. Doch selbst wenn die Temperaturen mittlerweile wieder aufs Herbstliche gefallen sind, der Sommer wirkt nach. Mehrere Wetter haben sich zusammengebraut. Hochs und Tiefs erhalten heutzutage Namen, und die neuen Tiefs bei uns heißen jetzt: Gewerbesteuern, Flüchtlinge, Kreisfreiheit.

Ich will nichts geringschätzen, aber ich verzichte heute und hier bewusst auf die übliche und sicher angebrachte Würdigung vieler schöner Sommer-Aktivitäten in unserer Stadt.

Denn die See ist rauer geworden, und wir haben zu tun, das Steuer in der Hand zu behalten. Kommen wir zur ersten Klippe: Gewerbesteuern, Sie kennen die Fakten: Ein großes Unternehmen mit Sitz in Cottbus fordert bereits vorausgezahlte Gewerbesteuern in Millionenhöhe zurück. Wir arbeiten intensiv daran, diesen Schlag ins Kontor oder, um im Bild zu bleiben, diese Flaute in der Kasse im Haushalt abzufangen. Und das trotz dringend notwendiger Ausgaben an anderer Stelle. Das wird uns und auch Ihnen, liebe Stadtverordnete und liebe Bürger, einiges abverlangen. Steuererhöhungen für Grund- und Gewerbesteuern wird es aber von uns aus nicht geben!

Gleichzeitig hat Ende August das Bundesinnenministerium einmal mehr mit großer Verspätung seine Prognosen der längst spürbaren Realität angepasst: Deutschland wird in diesem Jahr mehr als 800 000 Flüchtlinge aufnehmen. Manche Politiker sprechen bereits jetzt von etwa einer Million Menschen. Für Cottbus bedeutet dies eine Quote von 934 allein für 2015, und wir gehen davon aus, dass es im kommenden Jahr mehr als 1000 Flüchtlinge sein werden, die zusätzlich in diese Stadt kommen. Die Herausforderungen werden also weiter steigen. Deshalb sage ich deutlich: Wir hier in Cottbus sind allen Menschen verpflichtet. Das schließt eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge ebenso ein wie unser Augenmerk für die Cottbuserinnen und Cottbuser selbst. Vor allem gilt das jenen, die neue Nachbarn im Stadtteil oder im Aufgang gleich nebenan erhalten.

Wir schätzen uns glücklich, bei diesen schwierigen Aufgaben eine Vielzahl von ehrenamtlichen Helfern und spontanen Unterstützern an unserer Seite zu wissen. Diese sind umso wichtiger, als Bund und Land die wachsenden Herausforderungen lange nicht in gebührendem Maße erkannt haben. Bis heute sind sie vieles schuldig geblieben, trotz des jüngsten Flüchtlingsgipfels. Die Kommunen brauchen mehr Unterstützung. Das beginnt bei der wieder einmal nicht ausreichenden Finanzierung verschiedener übertragender Aufgaben. Und es hört bei dem irritierenden wie empörenden Vorgang noch nicht auf, dass das Land in Cottbus Ausschau nach Immobilien hält und dazu lediglich das Gesundheitsamt der Stadt informiert. Ich erspare es uns, hier von fehlender politischer Hygiene oder anders: weitsichtiger Politik zu sprechen.

Cottbus hat zur Unterbringung von Flüchtlingen bislang sehr konstruktiv und effektiv arbeiten und handeln können. Die zuständigen Fachbereiche der Verwaltung – die ich ausdrücklich loben möchte für ihre immense Arbeitsleistung jenseits der eigentlichen Aufgaben – haben einen gewissen Vorlauf schaffen können. Wir sprechen von 44 VZE a 40 Stunden und aufgelaufenen 560 Überstunden. Wir haben uns nicht auf offizielle Prognosen verlassen, sondern die Realität wahrgenommen und entsprechende Kapazitäten hergerichtet. So ist es gelungen, dass die Atmosphäre in der Stadt bislang vergleichsweise ruhig ist. Dafür ist auch den Cottbuserinnen und Cottbusern zu danken, die gewiss nicht weniger Ängste und Fragen haben als anderswo in Deutschland. Diese Ängste und Fragen kenne ich, und ich nehme sie sehr ernst! Deshalb will ich an dieser Stelle auch deutlich sagen: Die Stadt Cottbus hat nicht vor, irgendwelchen Wohnraum zu beschlagnahmen. Wir wissen, dass solche Medienmeldungen aus anderen Kommunen sehr schnell auch auf Cottbus übertragen werden. Solche Ängste aber sind unbegründet. Dennoch müssen wir uns den Problemen widmen: Zwar kommen diese Menschen in Deutschland an, aber letztlich leben sie in einem Dorf, in einer Stadt! Das heißt, dass viele unserer Kolleginnen und Kollegen, ob als Stadtverordnete oder als Bürgermeister etc., vor der Frage stehen: Wie gehen wir mit diesem Problem um?

Gemeinsames Ziel der Rathausspitze und der Stadtverordneten kann es nur sein, den sozialen Frieden in der Stadt Cottbus zu erhalten. Dazu brauchen wir die Unterstützung aller. Das kostet Geld, Verständnis, Mut und Kraft, zum Beispiel auch, dass Einheimische nicht schlechter gestellt werden! Verständnis dafür, dass wir auf unterster staatlicher Ebene derzeit nicht anders handeln können. Und Mut dafür, offen darüber zu reden, den Verantwortlichen beim Bund und beim Land klar zu machen, dass diese Flüchtlingshilfe nur begrenzt ist. Kraft dafür, dass trotz Ausschöpfung aller Reserven der Bürger, der Verwaltung und des Ehrenamtes diese Hilfe nicht unendlich gewährleistet werden kann.

Wir haben keine Notunterkünfte, wohl aber Notfallpläne. Wir wollen keine Zeltstädte, wir wollen den Kindern und Vereinen die Sporthallen nicht nehmen, sondern wir wollen lieber Gebäude, die zum Abriss vorgesehen waren, zu vertretbaren Kosten wieder nutzbar machen. Manches große Wohnungsunternehmen tut sich damit auf nicht nachvollziehbare Weise schwer, auf unsere kommunale Wohnungsgesellschaft aber ist Verlass. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass wir quasi um den Zuzug von Flüchtlingen betteln, wie es uns schon unterstellt worden ist. Wir bekommen diese Menschen vom Land zugeteilt, und wir tun unsere menschliche Pflicht. Diese gebietet es uns, den sozialen Frieden in Cottbus für alle Bewohner, seien sie drei Wochen hier in der Stadt oder hundert Jahre, zu wahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Sie sehen, dass ich sehr angespannt bin. Ich hatte heute eine Telefonkonferenz mit dem Innenminsterium, allen Landräten und den Oberbürgermeistern. Seit 12 Uhr mittags ticken die Uhren anders: Das Land Brandenburg erwartet in den nächsten Tagen 4000 Menschen. Damit wird das Land weitere Erstaufnahmeeinrichtungen benötigen. Für Cottbus heißt das: in den nächsten 72 Stunden müssen für 500 bis 1000 Menschen Notquartiere eingerichtet werden. Heute 19 Uhr tagt der Krisenstab. Ich habe das Innenministerium um Unterstützung gebeten. Zielona Gora wird uns mit dem Krisenmanagement ebenfalls unterstützen. Wichtig: es geht um die Erstaufnahme, nicht um die dauerhafte Unterbringung - Eisenhüttenstadt platzt aus allen Nähten.

Die Stadt Cottbus zeigt in diesen schwierigen Tagen, dass sie selbstbewusst und selbstbestimmt ihren Kurs festlegt und hält. Wir sind so frei, dies zu tun. Ganz gleich, was da in Potsdam für Pläne geschmiedet werden. In wenigen Tagen, am 7. Oktober, werden der Innenminister und der Finanzminister der rot-roten Landesregierung nicht etwa hier im Stadthaus, sondern im Hotel Radisson Blu ihre Pläne für die Kreisgebietsreform vorstellen. Offiziell heißt sie Verwaltungsstrukturreform. Doch das erweckt den Anschein, als handele es sich um eine reine Angelegenheit von Verwaltungen. Dem ist nicht so. Und auch das ist in den vergangenen Wochen immer klarer geworden: Wir hätten und haben derzeit eigentlich Wichtigeres zu tun. Und da frage ich und ein Großteil von Ihnen schlau: Ist diese Reform zu jener Zeit angebracht?

Eine sogenannte Reform, die bestehende, funktionierende Strukturen zerschlägt, um sie in den kommenden Jahren wieder neu aufzubauen? Ich sage klar: Reformen sind richtig und notwendig, wenn der geeignete Zeitpunkt gegeben ist! Derzeit mache ich dafür ein großes Fragezeichen! Und, liebe Landesregierung, jetzt sind die großen kreisfreien Städte wieder willkommen, z. B. bei der Unterbringung von elternlosen Kindern und jugendlichen Flüchtlingen! Jetzt werden unsere Jugendämter geschätzt! Jetzt werden unsere Sozialstrukturen in Anspruch genommen! Jetzt erst fragen wir: Bezahlt diese Landesregierung auch wirklich alles? Wie sehen jetzt die Standards aus?

Die Veranstaltung am 7. Oktober in Cottbus läuft unter dem Motto ‚Bürgerdialog mit offenem Ergebnis‘, doch wer mag daran so recht glauben? Vor der Auftaktveranstaltung in Brandenburg an der Havel musste sogar noch darum gekämpft werden, dass die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte und die Kollegen Landräte ihre Standpunkte wenigstens in einem Grußwort darlegen dürfen. Ist das ein Dialog? Jüngst hat die SPD-Fraktion im Landtag ihr Resultat bereits verkündet: Die Stadt Cottbus soll, wie auch Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel, ihre Kreisfreiheit verlieren. Bislang ist nicht klar geworden, wer denn die Gewinner solch einer Reform sein werden. Die Cottbuserinnen und Cottbuser wohl eher nicht. Wir sind so frei das so zu sehen. Alle Erfahrungen sprechen dafür, dass es gar keine Gewinner geben wird.

Wir pochen auf den Status ‚kreisfrei‘ nicht um des Status‘ willen. Wir müssen uns nur klar sein, was uns Cottbusern droht. Und es geht dabei eben nicht um Ängste in Verwaltungen um Arbeitsplätze – wobei ich anmerken darf, dass uns jeder Arbeitsplatz, noch dazu tariflich bezahlt, in Cottbus wichtig sein sollte. Es geht um unsere Selbstbestimmtheit als Cottbuserinnen und Cottbuser, unser Selbstbewusstsein, unser Selbstwertgefühl. Wir denken, dass wir über unsere Angelegenheiten gut selbst entscheiden können. Das funktioniert da am besten, wo Aufgaben, die wir eigentlich für andere erledigen, als solche von den anderen auch vernünftig bezahlt werden. Diese Finanzbeziehungen sind weder heute noch für die Zukunft ausreichend geregelt. Genauso wenig wie die Verteilung von Aufgaben. Man lockt uns stattdessen mit einer Entschuldung, sprich Geld, das uns bislang für die Erfüllung von Aufgaben vorenthalten wurde. Dass da der Eindruck einer gewissen Erpressung entsteht, dürfte niemanden wundern.

Cottbus muss kreisfreies Oberzentrum im Süden Brandenburgs bleiben, gern umgeben von einem starken Landkreis. Mit diesem werden wir intensiv zusammenarbeiten im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger. So haben wir das bisher gemacht: Wo es passt, arbeiten wir zusammen. Wir werden also nicht von vorn herein klein beigeben, wenn es um die Kreisfreiheit geht. Wir sind so frei, uns den herbstlichen Stürmen zu stellen.