Herausforderung Flüchtlinge: Kommunen finanziell entlasten, Integration ermöglichen

Steigende Asyl- und Flüchtlingszahlen verursachen einen anhaltend hohen Handlungsdruck auf kommunaler Ebene. Die Kommunen tun, was sie können, um Flüchtlinge und politisch Verfolgte unterzubringen und zu versorgen. Reguläre Abläufe stoßen allerdings inzwischen angesichts der Zahl der ankommenden Menschen häufig an Grenzen oder können nicht mehr eingehalten werden. Das macht der Deutsche Städtetag in seinem Gemeindefinanzbericht 2015 deutlich, der aus aktuellem Anlass eine Schätzung für eine mögliche Bandbreite der flüchtlingsbedingten Kosten von Ländern und Kommunen für das Jahr 2016 enthält.

Dr. Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagte anlässlich der Veröffentlichung des Gemeindefinanzberichtes: „Die Herausforderung ist überall spürbar: zuerst beim Bereitstellen von Unterkünften, dann aber auch auf dem Wohnungsmarkt, in Schulen, Kitas und bei der Gesundheitsversorgung. Deshalb fordern wir: Die Länder müssen die vereinbarten Bundesmittel für Unterkunft und Versorgung der Flüchtlinge vor Ort vollständig an die Kommunen weitergeben, in einem transparenten bundeseinheitlichen Verfahren. Denn bisher war die finanzielle Beteiligung der Länder an den kommunalen Kosten höchst unterschiedlich."

Die finanzielle Beteiligung des Bundes an den gesamtstaatlichen Kosten stellt eine deutliche Entlastung für die Länder dar, doch die Bundesmittel allein decken natürlich die Kosten der Kommunen nicht ab. „Die Finanzierungslücken sind bisher in den Ländern zum Teil noch sehr groß. Die Länder müssen sich bei der Kostenerstattung gegenüber den Kommunen an dem von ihnen ermittelten Betrag von 1.000 Euro je Flüchtling und Monat für die Unterbringung und Versorgung messen lassen", erklärte Articus.

Die zweite Herausforderung beginne, wenn mit der positiven Entscheidung über den Asylantrag aus Flüchtlingen Einwohnerinnen und Einwohner der Städte werden und die Integration der Menschen ansteht. „Eines ist in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich geworden: Es ist die lokale Ebene, die in Deutschland die stärkste Verwaltungskraft, die größte Flexibilität und die stärksten Bindungskräfte zur Bevölkerung sowie den vielen zivilgesellschaftlichen Bewegungen besitzt. Bund und Länder müssen dazu beitragen, dass die Kommunen ihre Stärken nicht nur bei der Versorgung und Unterbringung, sondern auch bei der Integration zeigen können. Damit Integration gut gelingen kann, müssen sich Bund und Länder auch maßgeblich an den notwendigen Integrationskosten beteiligen", forderte Articus.

In einer ersten Schätzung beziffert der Gemeindefinanzbericht allein die Integrationskosten je nach angenommenen Flüchtlingszahlen auf bis zu drei Milliarden Euro. Zur Integration enthalte die Vereinbarung von Bund und Ländern aus dem September erste Schritte, denen weitere folgen müssen, so Articus. Die Länder müssten zum Beispiel die Mittel des Bundes für das Betreuungsgeld, die sie erhalten, an die Kommunen zum Kita-Ausbau weitergeben. Die Aufstockung der Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung um 500 Millionen Euro sei hilfreich, doch müssten Bund und Länder die Programme und Instrumente auch so ausweiten, dass der zusätzliche Bedarf an Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen, darunter auch Flüchtlinge, abgedeckt werden kann.

Szenarien für Flüchtlingsausgaben in 2016

Nach der jetzt in Kraft getretenen Regelung übernimmt der Bund einen deutlichen Teil der entstehenden Kosten für die Flüchtlinge während der Asylverfahren. Die Frage, wie hoch diese Kosten insgesamt sein werden und welche Belastungen dadurch bei Ländern und Kommunen voraussichtlich anfallen, ist bislang unklar. Als Beitrag für eine sachliche, transparente und konsens- bzw. kompromissorientierte Debatte, hat der Deutsche Städtetag in zwei Szenarien eine denkbare Ober- und Untergrenze für die Entwicklung der Flüchtlingskosten berechnet.

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer und Finanzdezernent des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte: „Je nach unterstellten Flüchtlingszahlen könnten auf Länder und Kommunen im Jahr 2016 flüchtlingsbedingte Ausgaben zwischen circa sieben Milliarden Euro und 16 Milliarden Euro zukommen. Wenn wir die bislang vom Bund zugesagten Mittel inklusive Spitzabrechnung und Betreuungsgeld berücksichtigen, verbliebe ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf zwischen drei Milliarden Euro und 5,5 Milliarden Euro. Die enormen Aufgaben sind nur im gemeinsamen Handeln aller Beteiligten in Bund, Ländern und Kommunen zu bewältigen. Dafür brauchen die Städte nachhaltige Unterstützung."

Entwicklungschancen für alle Städte sichern

Unabhängig von den drängenden Fragen der Flüchtlingsversorgung thematisiert der Gemeindefinanzbericht eine grundlegende Herausforderung für die Kommunen: Die zunehmenden Unterschiede zwischen armen und reichen Städten und Regionen lassen die Debatte um die Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse an Bedeutung gewinnen. „Viele Unterschiede in der Finanzausstattung zwischen den Städten kann man akzeptieren. Nicht akzeptabel ist es, wenn nicht mehr von regionaler Chancengleichheit gesprochen werden kann. Die Zukunftschancen eines Kindes dürfen nicht davon abhängen, wo es aufwächst", so Dedy. Zudem bestehe auch ein klarer Zusammenhang zwischen regionalen Unterschieden und den Integrationsmöglichkeiten für Flüchtlinge: „In wirtschaftlich schwachen Regionen werden große Programme zur Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt notwendig sein, in Regionen mit starkem Arbeitsmarkt, dafür aber angespanntem Wohnungsmarkt, massive Investitionen in den sozialen Wohnungsbau notwendig werden“, so Dedy.

Auch in strukturschwachen Regionen müsse es gelingen können, ein vernünftiges Maß an kommunaler Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung arbeite daran, die Strukturförderung neu auszurichten. Ziel sollte es sein, Eigenkräfte zu stärken, Investitionen zu ermöglichen und Strukturschwäche zu überwinden. Dies sollte aus Sicht der Städte eines der zentralen Themen der nächsten Jahre werden.