Oberbürgermeister Frank Szymanski hat Gisèle Guillemot, die wahrscheinlich letzte noch lebende Gefangene des Cottbuser Frauenzuchthauses, für Anfang Mai nach Cottbus eingeladen. Die Zeitzeugin Gisèle Guillemot, die heute in Paris lebt, ist nach fünfjähriger Suche durch den Berliner Redakteur der B.Z. und Historiker Dr. Tomas Kittan gefunden und für die Stadt Cottbus und das „Menschenrechtszentrum Cottbus e.V.“, dessen Mitglied Dr. Kittan ist, befragt worden.

Nachdem Frau Guillemot die Einladung des Oberbürgermeisters dankend angenommen hat, besteht die berechtigte Hoffnung, diese wichtige Zeitzeugin in Kürze in Cottbus begrüßen zu können. Gegenwärtig wird intensiv an der Gestaltung des Besuchsprogramms gearbeitet. Geplant ist neben einem Stadtrundgang und dem Besuch des ehemaligen Gefängnisses auch ein Zeitzeugengespräch mit Cottbuser Schülern.

Oberbürgermeister Frank Szymanski: „Die Stadt und das Menschenrechtszentrum Cottbus e.V. erhoffen sich von dem Besuch Gisèle Guillemots, der Trägerin der hohen französischen Auszeichnung Kommandeurin der Ehrenlegion und seit den 80er-Jahren als Zeitzeugin in der Öffentlichkeit präsent, weitere Einzelheiten aus der Geschichte des ehemaligen Cottbuser Frauenzuchthauses."

Hintergrund

Dr. Tomas Kittan zu Gisèle Guillemot:

Während die 22-jährige Gisèle hinter Gittern auf ihre Hinrichtung wartet, sieht sie, wie sich draußen vor der Gefängnismauer ein Liebespaar küsst. Kinder spielen unbekümmert im angrenzenden Vergnügungspark. Cottbus im Sommer 1944. Eine Erinnerung, die Gisèle Guillemot nie vergessen wird. Die heute 89-Jährige ist die vermutlich letzte noch lebende Insassin des berüchtigten Frauenzuchthauses Cottbus. Hier saßen in der NS-Zeit viele politisch verurteilte Berlinerinnen.

Schon Jahrzehnte gehen Forscher davon aus, dass keine der Cottbuser Gefängnisinsassinnen von vor 1945 noch lebt. BZ-Reporter Tomas Kittan und Janet Thomalsky vom Menschenrechtszentrum Cottbus suchten fünf Jahre und fanden jetzt, was sie nicht mehr für möglich hielten. Mit Hilfe des Zeitzeugenvereins "Amicale de Mauthausen" konnten sie Gisèle in Paris finden und sie im Auftrag und mit Unterstützung der Stadt Cottbus besuchen. "Ich freue mich, dass man sich jetzt auch in Deutschland um mich kümmert", sagte sie.

11. Arrondissement, ein Plattenbau mitten in der Pariser Altstadt. Im Haus fühlt man sich ein bisschen wie in Marzahn. Im 15. Stock wohnt eine Frau, die eigentlich seit 67 Jahren tot sein müsste. In schwarzem Pullover und schwarzer Hose, aber mit goldener Kette und goldenen Ringen empfängt sie uns Deutsche und zeigt uns den zauberhaften Blick über Paris. Dort erzählt sie ihre Geschichte: "Wegen Widerstand gegen Hitler in meinem besetzten Vaterland wurde ich gemeinsam mit 15 Freunden am 13. Juli 1943 zum Tode verurteilt. Man warf uns Anschläge auf Bahntransporte der Wehrmacht vor. Ich hatte mit dem Fahrrad, getarnt mit Butter oben drauf, Sprengstoff herangebracht. Die 14 Männer wurden sofort erschossen, meine Freundin Edmonde und mich ließ man vorläufig am Leben." Als sogenannte "Nacht- und Nebelgefangene" brachte man die Frauen in einem 89-tägigen Transport nach Deutschland. Edmonde überlebte nicht. Sage und schreibe 14 Gefängnisse und KZ musste Gisèle erleiden, bevor sie im April 1945 durch das Internationale Rote Kreuz aus Mauthausen befreit wurde.

1944 verbrachte sie lange in Cottbus, in einem Zuchthaus, das später in der DDR zum zentralen politischen Knast Honeckers für Republikflüchtlinge wurde. "Wir waren im Zuchthaus isoliert, nur in der Massentoilette konnten wir Informationen austauschen. Wir nannten es 'Radio Pippiroom`." Gisèle Guillemot organisierte in Cottbus zum französischen Nationalfeiertag (14. Juli 1944) ein heimliches Fest mit Gesang und Gedichten: "Das wurde der Gestapo gemeldet. Vermutlich kam ich deshalb danach ins KZ Ravensbrück." Was für viele Frauen den Tod bedeutete, war für Gisèle ein großes Glück. Wenige Monate später wurde ihr Hafthaus in Cottbus bei Luftangriffen zerstört. Viele Frauen starben im Bombenhagel der Befreier. In Ravensbrück konnte sie sich ein paar leere Zettel besorgen und begann ihre Geschichte hinter Gittern aufzuschreiben. "Doch erst 2001 hatte ich den Mut, es zu veröffentlichen. Man glaubte mir nicht, was ich alles Schreckliche im Krieg erlebt habe, nicht mal meine eigene Mutter!"

Inzwischen hat sie vier Bücher geschrieben, wurde dafür ausgezeichnet und zur Kommandeurin der Ehrenlegion ernannt. Gisèle ist Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Colombelles. Nach der kleinen mutigen Frau sind eine Straße und eine Bibliothek benannt. Nach dem Krieg arbeitete sie als Stenotypistin, Sekretärin und Inhaberin eines Musikgeschäftes und bekam zwei Töchter. Inzwischen ist sie Witwe, hat auch ihren zweiten Mann überlebt. Jetzt will sie erstmals nach 67 Jahren wieder das Zuchthaus Cottbus betreten, nun aber als Ehrengast des Cottbuser Oberbürgermeisters. "Ich freue mich über die Einladung nach Cottbus!"