Städte und Gemeinden lehnen Alternativmodell zur Gewerbesteuer ab und fordern Entlastung bei den kommunalen Sozialausgaben

Angesichts eines drohenden kommunalen Defizits in nie gekannter Höhe von etwa 15 Milliarden Euro in diesem Jahr appellieren Deutschlands Städte und Gemeinden eindringlich an die Bundesregierung, die kommunalen Haushalte von Sozialausgaben zu entlasten sowie an der Gewerbesteuer festzuhalten und sie durch eine Einbeziehung der freien Berufe und eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu stabilisieren. Das vom Bund eingebrachte Prüfmodell für einen Ersatz der Gewerbesteuer lehnen die Städte und Gemeinden als ungeeignet ab. Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund erklärten gestern in Mainz, die seit März arbeitende Gemeindefinanzkommission müsse konkrete Vorschläge vorlegen, die die Kommunen entlasten und ihnen wieder mehr Handlungsspielraum verschaffen. Die Präsidien beider Spitzenverbände hatten zuvor in Heidelberg und Mainz eine gleichlautende Resolution verabschiedet: „Kommunale Handlungsfähigkeit sichern: Gewerbesteuer verbreitern - kommunale Haushalte entlasten.“

Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, sagte: „Unser Land braucht handlungsfähige Kommunen. Die Gewerbesteuer ist unsere wichtigste Steuer, und sie ist viel besser als ihr Ruf. Sie weist über viele Jahre hinweg im Vergleich zu anderen Steuern eine höhere Wachstumsdynamik auf und sichert so die Finanzierung wesentlicher Leistungen der Städte für die Wirtschaft und die Bevölkerung. Das Modell der FDP, das in der Gemeindefinanzkommission geprüft wird, ist kein vertretbarer Ersatz für die Gewerbesteuer. Solange eine gleichwertige Alternative nicht in Sicht ist, erklären die deutschen Städte in aller Klarheit: Die Gewerbesteuer darf nicht abgeschafft werden. Mitten in der schwersten kommunalen Finanzkrise, in der viele Kommunen vor dem Kollaps stehen, verbieten sich Experimente mit ungewissem Ausgang.“

Der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Oberbürgermeister von Bautzen, Christian Schramm, betonte: „Unsere Finanzlage ist dramatisch. Wir brauchen die Gewerbesteuer als Band zwischen den Gemeinden und der vor Ort ansässigen Wirtschaft. Denn die Städte und Gemeinden schaffen die notwendige Infrastruktur und kümmern sich um die Ansiedlung von Unternehmen. Stabilisiert werden kann die Gewerbesteuer durch eine breitere Bemessungsgrundlage, vor allem durch die Einbeziehung der Selbständigen. Warum zahlen Handwerk und Mittelstand längst Gewerbesteuer, Selbständige aber nicht? Auch die Freiberufler könnten Gewerbesteuerzahlungen auf die Einkommensteuer anrechnen lassen.“ Schramm widersprach Behauptungen, die Gewerbesteuer sei viel konjunkturanfälliger als andere Steuern. Er verwies auf deutlich höhere Einbrüche der Körperschaftsteuer im Jahr 2009. Außerdem beruhe etwa die Hälfte des Rückgangs der kommunalen Steuereinnahmen zwischen 2008 und 2010 auf Steuerentlastungen durch die große und die heutige Koalition.

Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Prüfmodell der FDP für einen Ersatz der Gewerbesteuer durch kommunale Zuschläge auf die Einkommen- und die Körperschaftsteuer und einen höheren Anteil der Kommunen an der Umsatzsteuer sagte der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude: „Das vorliegende Modell des Bundes verschafft uns keine stabilere Steuerbasis, sondern bringt erhebliche Verwerfungen mit sich. Wir können uns nicht entmündigen lassen, indem große Teile unserer wichtigsten Steuer durch Zuweisungen von Bund und Ländern in Form von Umsatzsteueranteilen ersetzt werden. Außerdem werden Unternehmen entlastet, den Bürgerinnen und Bürgern aber drohen höhere Belastungen bei der Einkommensteuer. Durch die Hintertür käme es also doch zu Steuererhöhungen, die die FDP sonst immer ablehnt. Und wer soll die milliardenschweren höheren Mehrwertsteueranteile der Kommunen zahlen? Bund und Länder haben kein Geld, also würden wohl die Verbraucher zur Kasse gebeten.“

Haushalte der Kommunen werden immer mehr von Sozialausgaben erdrückt

Zur Belastung der Kommunen mit Sozialausgaben sagte der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Christian Schramm: „Städtetag und Städte- und Gemeindebund machen in ihrer Resolution deutlich, dass sich das Problem der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen nicht allein durch Änderungen auf der Steuerseite oder durch den Abbau von Standards beheben lässt. Wir sagen daher: Für die deutschen Städte und Gemeinden ist es zwingend, dass die Entlastung der kommunalen Haushalte von Sozialausgaben zu einem zentralen Ziel der Gemeindefinanzkommission wird.“

Die Haushalte der Kommunen, so die beiden Spitzenverbände, werden immer mehr von den Sozialausgaben erdrückt. Kein anderer Ausgabenblock steigt so rasch und mit solcher Dynamik an. Die kommunalen Sozialausgaben haben sich in den vergangenen 20 Jahren fast verdoppelt und erhöhen sich in diesem Jahr voraussichtlich auf mehr als 41 Milliarden Euro.

Kernforderungen von Städtetag und Gemeindebund zu den Sozialausgaben sind:

  • Haushaltskonsolidierung durch ein Sparpaket auf Bundesebene ist notwendig. Kritisch beurteilen die Städte und Gemeinden jedoch die geplante Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für Hartz-IV-Empfänger. Dadurch werden Lasten vom Bund auf die Kommunen verschoben, die später mit einem noch stärkeren Anstieg der Kosten der Grundsicherung im Alter rechnen müssen.
  • Die Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung für unter Dreijährige ist nicht gesichert. Sobald der Betreuungsbedarf neu ermittelt ist, müssen Bund und Länder eine Antwort darauf geben, wie die fehlende Platzzahl finanziert werden soll. Andernfalls kann der Rechtsanspruch auf Betreuung auch bei größter Anstrengung der Städte und Gemeinden ab 2013 nicht erfüllt werden.
  • Der Bund darf seine Beteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose nicht senken, sondern muss sie der tatsächlichen Kostenentwicklung anpassen. Die bundesweiten kommunalen Ausgaben für die Unterkunftskosten werden 2010 auf voraussichtlich 11 Milliarden Euro ansteigen.
  • Die Kosten für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, für die zum größten Teil die Kommunen aufkommen müssen, steigen sehr dynamisch an und liegen mittlerweile bei 11,2 Milliarden Euro. Städtetag und Gemeindebund fordern ein bundesfinanziertes Leistungsgesetz bzw. in einem ersten Schritt eine Bundesbeteiligung an den Kosten der Eingliederungshilfe. Denn die Eingliederung behinderter Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.