Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,
liebe Cottbuserinnen und Cottbuser,
sehr geehrte Gäste,

werden Flüchtlinge mit Bussen eines Cottbuser Reiseunternehmens in die Stadt gebracht? Werden in Sachsendorf Gartenmöbel von Eigenheimgrundstücken gestohlen? Gibt es einen „Vergewaltigungsfall durch Flüchtlinge“ in der Stadt? Zünden die Bewohner der Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in der Poznaner Straße das Parkett der Turnhalle an, um sich zu wärmen? Gibt es Diebstähle aus einer Tankstelle in Sachsendorf? Verlassen Flüchtlinge scharenweise und mit vollen Körben Cottbuser Supermärkte mit der Bemerkung, die Rechnung zahle die Stadt Cottbus?
Mit solchen Fragen, die Gerüchten entspringen, werden Fachbereiche der Verwaltung und die Polizei derzeit zuhauf beschäftigt. Die Antworten fallen nicht schwer – es ist nur schwer zu sagen, ob sie auch geglaubt werden. Nein, das betreffende Reiseunternehmen hat keine Flüchtlinge nach Cottbus gebracht, doch selbst wenn: Was spräche gegen einen solchen Auftrag? Nein, bei der Polizei gibt es derzeit weder Erkenntnisse noch Hinweise oder gar eine Anzeige wegen der Vergewaltigung einer Frau durch Flüchtlinge. Ja, in der Tankstelle wird gestohlen, und ja, es sind Gartenmöbel von einem Privatgrundstück verschwunden. Jedoch nein, die Polizei hat keine Hinweise, dass diese Vorfälle im Zusammenhang mit Flüchtlingen stehen. Nein, Flüchtlinge haben in der Poznaner Straße nichts angezündet, das ginge auch nicht, denn in den Hallen liegt kein Parkett, sondern ein Spezialbelag aus Linoleum. Und nein, der Stadtverwaltung liegen keine Rechnungen aus Supermärkten vor. Es sei denn solche, wo Flüchtlinge und Bürger unseres Landes auf vom Sozialamt verteilte Warengutscheine einkaufen gehen. Diese stehen diesem Personenkreis, also Deutschen und zukünftig auch Flüchtlingen, zu.
Sie hören und wissen vermutlich, wie viele und welche Gerüchte ungefiltert weiter getratscht, gezielt gestreut, aufgebauscht und überhöht werden, um Menschen zu verunsichern oder gar aufzuhetzen. Es werden durchaus vorhandene Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge geschürt. Diesen Vorgängen müssen und wollen wir Antworten entgegensetzen. Es gibt viele Sorgen in der Stadt, die nehmen wir wahr. Die bekommen wir nicht weg, indem wir uns selbst auf Veranstaltungen bejubeln.

Sehr geehrte Damen und Herren,
mir ist von der Partei und der Fraktion Die Linke vorgeworfen worden, mich vor den Problemen rund um den Flüchtlingszuzug zu verstecken und damit sogar den sozialen Frieden in Cottbus infrage zu stellen. Dieser Vorwurf ist schlicht hanebüchen, nicht nur, weil an einem für die Stadt außergewöhnlichen Abend das Hoffest in der Poznaner Straße gegen die Arbeit im Verwaltungsstab ausgespielt worden ist. Ich möchte auch an dieser Stelle deutlich sagen: Es gibt für mich kein Versteckspiel. Es ist in Cottbus kein Platz für Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Darin sind wir uns sicher einig, und diese meine Position findet sich in allen Erklärungen der vergangenen Wochen. Aber wir haben möglicherweise verschiedene Auffassungen, wie mit wachsenden Problemen umzugehen ist.

Was wenig nutzt, ist die Produktion symbolischer Bilder für die Medien oder das eigene Ego. Es ist ja eine schöne Sache, dass der Ministerpräsident unseres Landes eine seiner Einrichtungen hier in unserer Stadt besucht. Die Linke schrieb dazu, ich zitiere, „unser Ministerpräsident“ habe in Cottbus beim Hoffest Gesicht gezeigt. Als Ministerpräsident aller Brandenburger hätte er sich aber auch den Demonstranten widmen sollen, die ihre Befürchtungen an der Lipezker Straße auf schwer erträgliche Art kundtaten und weiter kundtun werden. Aber ich sage auch: Am vergangenen Freitag waren das dort eine Mischung aus Verschwörungstheorien, Ressentiments und Ablehnung staatlicher Arbeit. Jeder muss wissen, wo er hingeht und wem er sich anschließt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich darf Ihnen versichern, dass ich täglich in Cottbus Gesicht zeige und dabei nicht darauf aus bin, dafür Beifall zu bekommen. Und ich erlaube mir, aus einem Beitrag auf der Facebook-Seite der Initiative „Flucht und Migration in Cottbus“ zu zitieren. Dort schreibt ein User zu dem Hoffest in der Poznaner Straße unter anderem: „Ich fand das heutige Hoffest und der damit verbundene Schutz und Widerstand wirklich gut. Auch war die Atmosphäre toll, aber ... es wirkte wie eine Selbstfeier der Veranstalter, politischen Verantwortlichen etc., ein Kontakt kam gar nicht zustande ... ich gehe nun wahrlich nicht auf fremde Menschen zu und frage, ob er Asylant sei, warum und weswegen - auch da gibt es eine Intimsphäre. Es fehlten mir meines Erachtens Informationen, was, wo … fehlt!! Gerade dies dürfte einer solchen Veranstaltung kurzfristig auf die Füße fallen...“,

Das ist sicher eine von vielen Meinungen, die dieser Tage ausgetauscht werden. Die Demokratie lebt, sie lebt aber nicht gut von Schwarz-Weiß-Malerei und platten Wahrheiten. Ich glaube angesichts der Verhältnisse in ganz Deutschland und in Europa nicht, dass alle Teilnehmer der Versammlungen, die bei uns unter dem Begriff „Norma“ oder als „besorgte Bürger“ bekannt sind, pauschal als Rassisten und Neonazis abzutun sind. Damit macht man es sich zu einfach, denn mit Rassisten muss man wirklich nicht mehr reden.

Sehr geehrte Damen und Herren,
natürlich darf man mich dafür kritisieren, dass ich es im Sinne unserer und ihrer Bürgerinnen und Bürger für wichtiger gehalten habe und halte, den Verwaltungs-, also sprich: Krisenstab zu leiten, um Ordnung und Sicherheit in der Stadt für alle Bürger zu gewährleisten. Das ist eben nicht ausschließlich Sache der Polizei, wie die Linke uns weismachen will.
Vielleicht wusste die Linke auch nur nicht, was die Rechten so treiben. Denn es wird immer klarer, dass versucht wird, einen weiteren Anlauf für eine wie auch immer geartete „Cogida"-Bewegung zu nehmen. Die NPD marschiert wieder in dieser Woche, und die Landes-AfD trommelt ihre Anhänger, ob nun bewusst oder unbewusst, just an dem Tag zusammen, an dem die Stadt Cottbus einmal mehr eines beweist: Sie ist mit der Mehrheit ihrer Bürger weltoffen, tolerant und neugierig auf das anders Aussehende, das Fremde – und eröffnet dazu das Festival des osteuropäischen Films. Dort gibt es Austausch, Anregung, Aufklärung und auch Standort-Marketing im besten Sinne.
Sich Verführern und Scharfmachern zu widersetzen, gelingt allerdings nicht mit bloßer Symbolpolitik und Instrumentalisierung. Sie können sich alle sehr gern an mir abarbeiten; die Probleme in der Stadt wird das nicht lösen, die Fragen vieler Bürger nicht beantworten. Antworten wird es nur geben, wenn es Europa endlich gelingt, seinen Einfluss auf ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien und der Auseinandersetzungen in Afghanistan und Nordafrika geltend zu machen, wenn etwas gegen weitere Ursache von Flucht und Vertreibung unternommen wird, wenn europäische Regelungen zur Verteilung der Flüchtlinge greifen und letztlich die Verteilung in Deutschland wieder in geordneten und verlässlichen Verfahren stattfindet.
Schon jetzt aber, sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion Die Linke, wäre es an der Zeit, dass das Brandenburger Sozialministerium die fast verzweifelt anmutende Suche in den Kommunen nach weiteren Turnhallen, die als Notunterkunft für Flüchtlinge dienen könnten, einstellt. Wissen wir doch, dass sich der Protest in Cottbus in der breiteren Öffentlichkeit entwickelt, seit die Turnhallen in der Poznaner Straße auf Bitten der Landesregierung und hier des Innenministeriums belegt worden sind. Wir drängen darauf, dass die beiden Hallen zum Jahresende wieder den Kindern und Vereinen zur Verfügung stehen. Wäre es nicht an der Zeit, dass längst vorgeschlagene Alternativen wie der Praktiker-Baumarkt in Gallinchen oder weitere Standorte nicht nur endlich ernsthaft geprüft, sondern auch hergerichtet werden? Die dafür nötigen Unterlagen sind auf Bitten des Landes binnen 24 Stunden durch die Verwaltung zusammengestellt worden. Es dauerte dann aber vier Wochen und brauchte die Vermittlung durch Abgeordnete, dass diese Papiere nun doch geholt werden sollen. Und sollte nicht das Finanzministerium endlich verbindlich und vorausschauend klären, wann und wie die steigenden Kosten für die Kommunen zu 100 Prozent ausgeglichen werden? Sehr geehrte Landtagsabgeordnete, soweit ich mich erinnere, verfügen Sie über gute Drähte zu „Ihren“ Ministern. Nutzen Sie diese zum Wohle unserer Stadt.

Sehr geehrte Damen und Herren,
das Thema Flüchtlinge wird uns auch in den kommenden Monaten beschäftigen. Wir halten dabei an unserer Strategie fest, die Ankommenden und die, die bleiben dürfen, in Wohnungen unterzubringen, wenn sie einige Eingewöhnungswochen in der Gemeinschaftsunterkunft in der Hegelstraße absolviert haben.
Auch mit der eG Wohnen haben wir mittlerweile weitere Wege erörtert, zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu finden, ohne die Genossenschaft wirtschaftlichen oder juristischen Zwängen auszusetzen. Dafür bin ich dem Vorstand dankbar. Auch hat sich die Genossenschaft bereits mit insgesamt 39 Wohnungen beteiligt, um Flüchtlingen in Schmellwitz und Sachsendorf eine menschenwürdige Unterkunft bieten zu können. Die Landesregierung hat nun den auch von uns vorgeschlagenen Weg geebnet, Geld für den Abriss von Wohnungen umzuwidmen. Dafür sollen Gebäude hergerichtet werden, wo das vom Aufwand her sinnvoll ist. Wir werden dafür etwa 300 Wohnungen anmelden. Es wird aber auch weiter Häuser geben, die unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen Faktoren abgerissen werden müssen. Dennoch wollen wir in Cottbus keine Zeltstädte errichten.

Die nächste große und dauerhaft zu finanzierende Herausforderung wird sein, voraussichtlich schon ab dem kommenden Wochenende etwa 50 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in unserer Stadt unterzubringen, zu betreuen und zu versorgen. Hier gelten die besonderen Anforderungen des Jugendrechts, die wir zu beachten haben. Dank der freien Träger der Jugendhilfe in der Stadt haben wir da erfahrene, verlässliche und einsatzbereite Partner, selbst wenn wir anfangs etwas improvisieren werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,
was sagt uns das alles? Wir brauchen schon jetzt einen Klimawandel in Cottbus. Das gilt für einen verträglichen Umbau der Energiewirtschaft mit verlässlichen Rahmenbedingungen, unaufgeregten Debatten, sozial verträglichen Lösungen für die vom Abschalten der Blöcke in Jänschwalde Betroffenen und einem potenten Käufer der Braunkohlensparte Vattenfalls.
Wir brauchen einen Klimawandel aber auch auf unseren Straßen und Plätzen. Da werden Ventile gesucht für aufgestaute Ressentiments, für unterdrückte Ängste und auch für brodelnden Hass. Es ist erschreckend, wie schnell Gewalt um sich greift, wie aus verbalem Streit rabiate Bedrohung und letztlich gar Attacken mit Messern werden. Da gehen sowohl die Bedrohung von Menschen als auch die Mittel zur Selbstverteidigung deutlich zu weit. Dieses Klima der Angst, des Neides, der Unsicherheit und des vermeintlich Zu-kurz-gekommen-Seins ist der Nährboden für eine Entwicklung, die wir nicht wollen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
meine heutige Rede vor Ihnen hatte den Schwerpunkt Flüchtlinge, und es wird wohl nicht das letzte Mal so sein. Dennoch darf ich Ihnen abschließend versichern, dass auch alle anderen Aufgaben durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung erledigt werden. Wir sind für die Bürgerinnen und Bürger da, so wie diese es gewohnt sind. Dem schließt sich mein ausdrücklicher Dank an die vielen beeindruckenden Menschen in Cottbus an, die sich ehrenamtlich um andere Menschen kümmern und sich dabei nicht beirren lassen.